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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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hat.
    Die Kanapees sind lecker. Eine Flasche Veuve hatte man schon aufgemacht, weshalb uns nichts anderes übrigbleibt, als auf unseren Erfolg zu trinken.

4
    Es kam der Tag. Die Werkstatt durchflutete ein Morgenlicht, in dem – gefiltert durch die Jalousien und von der gegenüberliegenden Wand reflektiert – ein zarter Goldton mitschwang. Unser Objekt hätte kaum kostbarer aussehen können. Wir verbargen es unter einem Musselintuch und beteten, dass das Licht so bleiben möge.
    Um halb neun begannen die ›Geldsäcke und Anzugträger‹ zur feierlichen Enthüllung einzutreffen, und vielleicht war es dem Geschäftssinn der Konservativen zu verdanken, dass sie sich vollständig versammelt hatten, als pünktlich um 8 . 45 Uhr der Kulturminister kam, dieser Typ mit dem polierten, jungenhaften Gesicht.
    Wie üblich im Swinburne wurde man einander nicht anständig vorgestellt, weshalb Amanda und ich unter uns blieben, unerkannt. Meine Assistentin kehrte zu diesem besonderen Anlass das Sloaney-Mädchen heraus, doch hielt ich sie deshalb keineswegs für zahmer, nicht eine Sekunde lang.
    Eric gab sich gutgelaunt und äußerst charmant, warf mit seiner Gelehrsamkeit wie mit Weihwasser um sich und wechselte übergangslos vom individuellen Gespräch zur offiziellen Ansprache. Fast glich er dem Schwan in seiner Art, wie er innehielt, um seine Opfer zu betrachten, die vor ihm zu kleinen Mädchen in Kommunionskleidern wurden, diese herzlosen Männer mit ihren polierten Eton-Wangen.
    Crofty erkannte mit keinem Wort meine Arbeit an, was mich enttäuschte, aber nicht überraschte. Wenn ich an der Reihe war, den Mechanismus aufzuziehen, würde man mich bestimmt für eine Art Quizshow-Assistentin halten.
    Dann wandte sich Crofty an den Minister, und verblüfft sah ich, wie er dem großen Mann Tasse und Untertasse abnahm. Anschließend deutete er in Richtung Schwan und sagte: »Ich dachte, vielleicht erweisen Sie uns ja die Ehre, Sir.«
    Diese Gunst konnte er gar nicht vergeben. Nur der Konservator durfte das Objekt berühren oder ›in Gang setzen‹.
    Mit der Kurbel in der Hand sah der Minister ziemlich fehl am Platz und verwirrt drein, während Eric mit großer Geste das Tuch abzog und so jenes Gewisper der Bewunderung auslöste, auf das wir so gehofft hatten.
    Der Schwan war Zeus. Die Umrandung aus silbernem Laub sah im Morgenlicht schlicht phänomenal aus.
    Der Minister näherte sich mit der Kurbel in der Hand.
    Ich dachte, mein Gott, er hat keinen Schimmer, was er damit anfangen soll, doch dann wurde mir klar – ich hatte es mit Crofty zu tun; all dies war abgesprochen und geplant. Der Minister wirkte keineswegs verstimmt, eher sogar höchst zufrieden. Um die Kurbel einstecken zu können, musste er eine Art Diener machen. »Euer Hoheit«, scherzte er, und alle lachten zu laut. An Crofty gewandt fragte er: »Wie viele Umdrehungen?«
    »Drei«, antwortete Eric.
    Die Zahl hatte nichts zu bedeuten. Er hatte sie erfunden.
    Als der Bursche aus Eton den leichtgängigen Mechanismus aufzog, konnte ich das Mineralöl riechen. Kaum zog er die Kurbel wieder heraus, rotierten die Glasstäbe und spiegelten das reflektierte Licht. Der Minister lächelte in die Runde, nur warum sollten wir ihn anschauen? Brahms erklang, und die Anzugträger waren wie verzaubert. Dein silberner Schwan, Henry, er war so schön wie erbarmungslos und drehte den Kopf nach links zum Minister, gleich darauf nach rechts zum Mann vom
Guardian
, um sich dann das Gefieder zu strählen und den Rücken zu putzen. Niemand rührte sich, keiner sagte einen Ton. Jede gespenstische Bewegung war geschmeidig wie die eines lebenden Wesens, einer Schlange, eines Aals oder – natürlich – eines Schwans. Ehrfürchtig schauten wir zu, und obwohl wir viele hundert Stunden daran gearbeitet hatten, kam uns der Schwan doch nie, nicht einen Augenblick lang, vertraut vor, eher unheimlich und agil, geschmeidig, gelenkig und graziös, wie er sich drehte und wendete. Schaute er sich um und blickte einen an, schienen seine Augen aus dunkelstem Ebenholz zu sein, bis zu dem Moment, in dem sie aufleuchteten, weil die Sonne sich im schwarzen Holz fing. Er hatte kein Gefühl, hatte kein Gehirn. Er war ruhmreich wie Gott.
    Die Fische ›flitzten umher‹. Schlangengleich bog der Schwan den Hals, dann zuckte er vor, und alle Anwesenden hielten den Atem an.

Henry & Catherine
    Percy, Percy, begann die letzte Seite.
    Percy, es ist getan, auf diesen Karren geladen, den wir daheim einen Leiterwagen

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