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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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Straßenseite. Schaffen Sie das? Was meinen Sie?«
    »Ja«, antwortete ich und dachte, das war’s also – sie werfen mich aus dem Museumshauptgebäude. Sie sperren mich in den Annex. Ich hatte mich verplappert.
    »Gut.« Er strahlte, und die Falten um seinen Mund formten ein Katzengesicht. Er stellte den Lüfter aus; plötzlich konnte ich sein Aftershave riechen. »Erst einmal lassen wir Sie krankschreiben. Wir stehen das hier gemeinsam durch – ich hab da etwas, um das Sie sich kümmern können«, sagte er. »Ein wirklich schönes Objekt.« So reden die Leute am Swinburne. Sie sagen Objekt statt Uhr.
    Ich dachte, er schickt mich ins Exil, vergräbt mich. Der Annex lag hinter Olympia, in ihm konnte meine Trauer so privat wie meine Liebe bleiben.
    Also war er nett zu mir, Crofty, dieser seltsame Macho. Ich küsste ihn auf die raue, nach Sandelholz riechende Wange, und wir sahen uns beide erstaunt an. Dann floh ich, hinaus auf die Straße, ins Feuchtwarme, stürmte in Richtung Albert Hall, Matthews geliebten, blöden, zerknautschten Hut in der Hand.

2
    Als ich nach Hause kam, wusste ich immer noch nicht, wie mein Liebster gestorben war. Ich nahm an, er war gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen. Ich hatte es schon immer gehasst, wie er auf seinem Stuhl kippelte.
    Bald würde es ein Begräbnis geben. Ich zerriss meine Bluse, riss die Ärmel ab. Die ganze Nacht lang malte ich mir aus, wie er gestorben war, überfahren, zerquetscht, erstochen, auf die Gleise geschubst, jede Vision ein Schock, ein Abgrund, ein Aufschrei. Ich befand mich noch in derselben Verfassung, als ich vierzehn Stunden später nach Olympia fuhr, um mich mit Eric zu treffen.
    Niemand liebt Olympia, diesen hässlichen Ort, doch lag da der Swinburne-Annex, und dorthin schickte man mich. Als wäre ich eine Witwe und müsste bei lebendigem Leibe verbrannt werden. Nun, zündet die Blätter an und das Scheiterholz, dachte ich, nichts konnte so weh tun wie das hier.
    Die Gehwege hinter dem Messezentrum waren ungewöhnlich schmal, die Gassen krumm und gewunden, die Luft war schwül. Tödlich schnelle Lieferwagen wirbelten Staub auf und verteilten Zigarettenenden entlang der Straße, an der Swinburnes Annex wartete. Er war kein Gefängnis – bei einem Gefängnis gäbe es Hinweisschilder –, doch zierte Nato-Draht die hohen Tore.
    Viele Konservatoren aus dem Swinburne hatten bereits eine Weile im Annex verbracht, sich mit einem Objekt befasst, das im Hauptgebäude nicht angemessen aufgearbeitet werden konnte. Manche behaupteten, ihren Aufenthalt genossen zu haben, doch wie wollte ich es ertragen, von meinem Swinburne getrennt zu sein, meinem Museum, meinem Leben, in dem jede Treppe und jeder niedrige Flur, jeder Putzkrümel und jedes Azetonmolekül von meiner Liebe zu Matthew sprach, meinem evakuierten Herz.
    Dem Annex gegenüber fand ich George’s Café, die Türen bei dieser ungewöhnlichen Hitze weit geöffnet.
    Man sollte doch annehmen, der Autor von
Zahlungsbilanz: Der Sing-Song-Handel mit China im 18 . Jahrhundert
unterschiede sich deutlich von den vier verschwitzten Polizisten in der hinteren Sitzecke, von Olympias Fahrern oder den Postboten der Auslieferungsstelle West Kensington, denen man heute offenbar gestattete, Shorts zu tragen. Keine gute Idee, aber egal. Wäre der angesehene Kurator nicht aufgestanden (umständlich, da die Sitzecken aus Sperrholz solche Manöver von groß gebauten Männern eigentlich nicht zuließen), hätte ich ihn wohl kaum erkannt.
    Crofty behauptete von sich gern, er sei der
perfekte Niemand
. Und obwohl er auf diffuse Weise nach Unterschicht aussah und der schmerzhafte Händedruck irgendwo aus der Zeit gleich nach seiner Geburt herrühren musste, aus den männlichen 1950 er Jahren, konnte es durchaus passieren, dass er auf einen Drink beim Kultusminister vorbeischaute, wo man dann, falls man das Glück hatte, eingeladen zu werden, womöglich erfuhr, dass er am vergangenen Wochenende mit Ellsworth (Sir Ellis Crispin für unsereinen) in Schottland zur Jagd gewesen war. Dieser mächtige Mann hatte mich nun offenbar unter seine Fittiche genommen.
    Ich sah seine Augen – all dies alarmierende Mitgefühl –, hantierte mit meinem Regenschirm und legte einen Notizblock auf den Tisch, doch legte er seine Hand auf meine; sie war groß, trocken und so warm wie etwas, in dem man Eier ausbrüten konnte.
    »Das alles ist so entsetzlich«, sagte er.
    »Bitte, Eric, erzählen Sie mir, was passiert ist.«
    »Ach herrje«,

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