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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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dabei, aber bergab kommen sie auf diese Weise trotzdem schneller voran.«
    Renn blickte zum Himmel. »Es zieht sich zu. Lass uns eine Hütte bauen und eine Weile rasten.«
    »Das kannst du gern tun. Ich gehe weiter.«
    Renn stemmte die Hände in die Hüften. »Allein?«
    »Wenn’s sein muss.«
    »Wolf ist auch mein Freund, Torak.«
    »Er ist nicht nur mein Freund«, erwiderte Torak erbost. »Er ist mein Rudelgefährte!«
    Er merkte, dass er sie gekränkt hatte.
    »Und was hat Wolf davon, wenn du schon so müde bist, dass du alles Mögliche übersiehst?«, fragte Renn bissig.
    »Ich habe nichts übersehen!«
    »Ach nein? Ein Stück hinter uns ist der eine Mann abgebogen und einer Otterfährte gefolgt…«
    »Was für eine Otterfährte?«
    »Siehst du? Du bist genauso erledigt wie ich!«
    Torak wusste, dass sie recht hatte, aber er wollte es nicht zugeben.
    Schweigend gingen sie weiter, bis sie an eine vom Sturm gefällte Fichte kamen. Mit ihren Schneeschuhen schaufelten sie den Wurzelstock frei und bauten sich einen behelfsmäßigen Unterschlupf. Für das Dach nahmen sie abgebrochene Zweige und packten eine dicke Schneeschicht darauf. Auch den Boden legten sie mit Zweigen aus und breiteten die Rentierfellschlafsäcke darüber. Als sie fertig waren, konnten sie sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten.
    Torak holte den Flammenstein und eine Handvoll zerrupfter Birkenrinde aus seinem Zunderbeutel und erweckte ein Feuer zum Leben. Außer den Ästen der Fichte gab es weit und breit kein abgestorbenes Holz, und das Feuer zischte und qualmte, aber Torak war so am Ende seiner Kräfte, dass es ihn nicht störte.
    Renn rümpfte zwar die Nase, äußerte sich aber nicht dazu. Sie holte einen Kringel Elchblutwurst aus ihrer Trage, schnitt ihn in drei gleich große Stücke, legte eins für den Clanhüter aufs Dach der Hütte und warf eines Torak zu. Ihren eigenen Anteil verstaute sie in ihrem Vorratsbeutel und griff nach Axt und Wassersack. »Ich gehe zum Fluss. In meiner Trage ist noch mehr Fleisch, aber lass ja die Finger von den getrockneten Preiselbeeren!«
    »Warum?«
    »Darum«, erwiderte Renn kurz angebunden. »Die sind für Wolf.«
    Als sie weg war, würgte Torak ein paar Bissen hinunter, dann kroch er ins Freie und brachte ein Opfer dar.
    Er schnitt sich eine lange dunkle Haarsträhne ab und band sie um einen Ast der umgestürzten Fichte. Dann legte er die Hand auf sein Clanabzeichen, das zerschlissene Stück Wolfsfell, das an die Schulter seiner Kapuzenjacke genäht war.
    »Höre mich, Wald! Ich bitte dich bei meinen drei Seelen  – meiner Namensseele, meiner Clanseele und meiner Weltseele –, beschütze Wolf und halte alles Übel von ihm fern.«
    Erst danach entdeckte er die rote Haarsträhne, die um einen anderen Ast geknotet war. Auch Renn hatte ein Opfer dargebracht.
    Torak bekam ein schlechtes Gewissen. Er hätte sie nicht anbrüllen sollen.
    In der Hütte zog er die Stiefel aus, kroch in seinen Schlafsack und blickte ins Feuer. Es roch nach muffigem Rentierfell und würzigem Fichtenharz.
    In der Ferne schrie eine Eule. Es war nicht das vertraute »Bwuuh-Bwuuh« der grauen Waldeule, sondern das tiefe »Uhuu-Uhuu« einer Adlereule.
    Torak erschauerte.
    Er hörte Renns Schritte draußen im Schnee knirschen und rief ihr zu: »Du hast ein Opfer dargebracht! Ich auch.«
    Als sie nicht antwortete, setzte er hinzu: »Tut mir leid, dass ich dich angeschnauzt habe. Es war … Es tut mir leid.«
    Immer noch keine Antwort.
    Die knirschenden Schritte kamen näher … und gingen um die Hütte herum!
    Torak setzte sich auf. »Renn?«
    Die Schritte verstummten.
    Toraks Herz klopfte heftig. Das war nicht Renn.
    Leise schlüpfte er aus dem Schlafsack, zog die Stiefel an und griff nach seiner Axt.
    Die Schritte kamen noch näher. Wer immer sich draußen herumtrieb, er stand nur eine Armlänge von Torak entfernt hinter der dürftigen Wand aus Zweigen.
    Dann hörte Torak jemanden rasselnd Luft holen. Da es sonst so still war, klang es sehr laut.
    Torak schauderte es. Er dachte an die Kranken im letzten Sommer. An ihre mordlustig funkelnden Augen, an den Schleim, der sich in ihren Kehlen gesammelt hatte …
    Er dachte an Renn, die allein zum Fluss gegangen war. Er kroch zum Eingang der Hütte.
    Der Mond verbarg sich hinter den Wolken, es war eine stockfinstere Nacht. Ein leichter Aasgestank lag in der Luft. Dann wieder das rasselnde Luftholen.
    »Wer ist da?«, rief Torak aufs Geratewohl.
    Das Rasseln verstummte.

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