Chroniken der Dunkelheit - 02 - Kristallschwert
lassen?«
»Er ist nicht tot!« Für einen Augenblick kam wieder Leben in Eolandes Augen und man konnte erahnen, was für eine stolze Frau sie früher gewesen war. »Niemand sah ihn sterben! Ich habe auf ihn gewartet, nachdem du und die anderen ihn längst aufgegeben hatten. Und dann fand ich ihn und setzte alle Hebel in Bewegung, um ihn zu befreien – hätte ich ihn seinem Schicksal überlassen sollen?«
»Das war vor hundert Jahren!«, rief Cluaran aufgebracht. »Er war schon ein alter Mann, als er im Berg verschwand. Wie konntest du annehmen, er würde noch leben?«
»Er war verzaubert.« Eolandes Stimme klang jetzt fast zärtlich. »Ich wollte schon aufgeben, da hörte ich Brokks Stimme und sah ihn und sprach mit ihm. Er war jung und schön wie damals, als ich ihn kennenlernte. Doch er schmachtete in Ketten! Da sagte er zu mir, ich könne ihn befreien, wenn ich nur wolle.«
»Und du hast all seine Befehle ausgeführt!«, sagte Cluaran erzürnt. »Du hast Verrat und Mord gestiftet und den Drachen ausgeschickt, ein Schiff zu zerstören und Kinder zu entführen. Glaubst du, mein Vater hätte das von dir verlangt? Er opferte sein Leben dafür, Loki zu bezwingen!« Seine Stimme brach. »Wie auch Ioneth. Und jetzt war ihr Opfer umsonst.«
»Ioneth. «Eolandes Stimme klang bitter wie Galle. »Sie hat euch mir abspenstig gemacht. Kaum hattet ihr sie kennengelernt, da hattet ihr nur noch Augen für sie. Und als später das Schwert ohne Brokk gefunden wurde, hast du beschlossen, dem Schwert zu folgen. Für deinen Vater – oder deine Mutter – wolltest du nicht bleiben.«
»Ich hätte dich holen sollen«, sagte Cluaran leise. »Aber du hättest wissen müssen, dass es hier nichts mehr für dich zu tun gab!«
»Brokk war hier«, beharrte Eolande. »Und jetzt habe ich ihn befreit und er wird zu mir zurückkehren.«
»Nein«, sagte Cluaran und aus seiner Stimme klang eine hundertjährige Trauer. »Brokk ist tot. Du hast Loki befreit.«
Schweigen kehrte ein. Eolande starrte ihn mit schwarzen Augen an.
»Wenn das so ist«, sagte sie schließlich, »wenn Brokk nicht wiederkehrt, dann mag die Welt ruhig zu Staub zerfallen. Mir ist es egal.« Sie verfiel wieder in Schweigen und starrte blicklos geradeaus.
Elsa hatte ihr zuerst mit Mitleid, dann mit wachsendem Zorn zugehört. Diese Frau war an all ihren Opfern schuld, an den Strapazen der langen Reise und am Verlust des Schwertes! Und jetzt konnte die Welt von ihr aus zugrunde gehen! Doch dann sah sie Cluarans Gesicht und schwieg.
»Sie weiß nicht, was sie sagt«, meinte Ari leise zu Cluaran. »Gib Loki die Schuld an allem, Cluaran, nicht deiner Mutter.«
»Du hast Recht«, erwiderte Cluaran dumpf. »Wann wird er deiner Meinung nach seine frühere Macht wiedererlangen, Ari? Wann kann er die Welt allein mit der Kraft seiner Gedanken in Flammen aufgehen lassen?«
Ari zögerte. »Der Tod des Schwertes hat ihm Kraft gegeben«, sagte er schließlich. »Doch er konnte das Schwert und Elsa nicht seinem Willen unterwerfen. Und den Ring um den Hals, den dein Vater geschmiedet hat, trägt er auch noch. Das Eisen wirkt auf ihn wie Gift und wird ihn daran hindern, alle seine Wünsche zu verwirklichen. Wenn du mich nach meiner Einschätzung fragst, würde ich deshalb sagen, wir haben Zeit, bis es ihm gelingt, diese letzte Fessel loszuwerden.«
Dann besteht also noch Hoffnung?, dachte Elsa. Oder es bestünde Hoffnung, wenn das Schwert nicht zerbrochen wäre. Sie sah zu ihrer verbrannten Hand hinunter. Über den Handteller lief ein dunkelroter Striemen und die Hand pochte vor Schmerzen wie damals, als sie das Schwert zum ersten Mal gehalten hatte.
Ihr ganzer Arm pochte. Einen Moment zuvor hatte sie noch nichts gespürt.
Denk nach, Elsa – was passierte, bevor das Schwert zerbrach? Loki hatte es ihr wegnehmen wollen. Er hatte ihr den Arm verrenkt, der das Schwert nicht loslassen wollte, und es hatte höllisch wehgetan. Zugleich hatte er auch an Ioneth gezogen. Elsa hörte immer noch ihre panische Stimme: Hilf mir! Halt mich fest!
Und sie hatte das Schwert festgehalten. Loki hatte es ihr nicht abgenommen. Es war zerbrochen. Wo war Ioneth also?
Unverwandt starrte Elsa auf ihre rechte Hand. Konnte sie das Heft immer noch spüren, wenn sie sich konzentrierte? Vielleicht … vielleicht war da etwas.
Ioneth! ,rief sie in Gedanken. Ioneth – hörst du mich?
Und da war die Stimme, die Ahnung einer Stimme, schwach und kaum hörbar, doch ihr zugleich so unendlich vertraut wie ihre
Weitere Kostenlose Bücher