Chroniken der Dunkelheit - 02 - Kristallschwert
vier Jahren versammelt. Die letzten Ratsherren waren inzwischen aus der Verbannung zurückgekehrt, darunter Aagard. Sein Bart war weißer geworden und sein scharlachroter Mantel zerschlissen, doch alle Anwesenden und sogar der König atmeten erleichtert auf, als sie ihn wieder an seinem angestammten Platz sitzen sahen.
Ihre Erleichterung würde schnell vergehen, dachte Aagard und ließ den Blick über die erwartungsvollen Gesichter wandern. Einen Moment lang, in einem unwürdigen Anfall von Schwäche, wünschte er sich, Godric hätte ihm das Zauberbuch nicht gegeben und er hätte den dort gelesenen Zauber, mit dem man in die Zukunft blicken konnte, niemals angewandt. Es war so schwer, triumphierend heimzukehren, nur um eine Schreckensnachricht zu überbringen. Doch die Königreiche mussten jetzt zusammenstehen wie nie zuvor und er durfte nicht verzweifeln. Noch nicht.
»Verehrte Ratsmitglieder«, begann er, »ich freue mich und fühle mich geehrt, wieder hier zu sitzen. Ich wünschte allerdings, ich könnte bei dieser Gelegenheit eine frohere Botschaft überbringen.«
Die Ratsherrn begannen zu flüstern. Offenbar traf seine Ankündigung sie nicht ganz unvorbereitet, stellte Aagard erleichtert fest. Einige Ratsherrn schienen mit etwas Ähnlichem gerechnet zu haben. Trotzdem folgte auf seine nächsten Worte versteinertes Schweigen.
»Wie ich erfahren habe, ist der Gefesselte nicht mehr gefesselt. Er ist aus dem Berg geflohen, in dem er gefangen war. Wir müssen uns auf einen Krieg vorbereiten.«
Entsetzte Rufe wurden laut. »Und die beiden Kinder?«, rief Godric mit seiner dünnen alten Stimme.
»Der Sänger Cluaran konnte sie retten«, antwortete Aagard. Die Kinder waren seine einzige Hoffnung, allerdings mit einer verhängnisvollen Einschränkung. »Sie sind unsere stärkste Waffe im Kampf gegen das Ungeheuer. Allerdings …« unruhiges Gemurmel wurde laut, »… allerdings ist der Versuch des Mädchens Elsa, ihn zu töten, offenbar gescheitert. Sie konnte fliehen, hat aber das Schwert verloren.«
Einige stöhnten laut auf, und auf vielen Gesichtern malte sich Verzweiflung. »Noch haben wir Hoffnung!«, beharrte Aagard. »Unsere Väter haben Loki bezwungen und wir können ihn wieder bezwingen. Wir müssen uns gegen ihn verbünden!«
Aagard konnte den Kampfgeist der Anwesenden wecken. Die Reichen versprachen, Pferde und Waffen zu stellen, und eilten fort, um die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen. Andere, die gute Beziehungen zu den benachbarten Königreichen unterhielten, wollten noch am selben Abend mit Geschenken und freundschaftlichen Erklärungen aufbrechen. Alle wollten zu Hause ihre Schwerter oder Bögen hervorsuchen. Am Abend herrschte in der ganzen Stadt rege Betriebsamkeit.
Aagard stand hinter der großen Halle und sah zu, wie aufgeregte Bürger in einer Schlange anstanden und darauf warteten, sich von den Soldaten des Königs in den Schwertkampf einweisen zu lassen. Hätte ich die Kinder hierbehalten sollen?, fragte er sich zum hundertsten Mal. Einige Männer, die offenbar noch nie ein Schwert in der Hand gehalten hatten, hieben ungeschickt auf Strohpuppen ein. Dann wäre Loki vielleicht noch gefesselt.
Aber wie lange? Früher oder später wäre er entkommen und derselbe Fall wäre eingetreten. Entweder Elsa und ihre Freunde können ihn vernichten oder er vernichtet uns. Und mit uns die Welt der Sterblichen.
Er blickte nach Norden und vor seinem geistigen Auge erschien ein roter Schein am Horizont – ein loderndes Feuer, das die Welt zu verschlingen drohte.
»Hoffentlich bezwingen sie ihn«, flüsterte er.
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