Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
Griff um sein Handgelenk erschlaffte plötzlich, sein Kopf sackte nach hinten und schlug mit einem dumpfen Dröhnen auf dem harten Steinboden auf. Langsam setzte Will sich auf. Er hatte diesen Moment oft genug miterlebt, um genau zu wissen, dass der Tod eingetreten war. Und es bestand auch keine Notwendigkeit, Thomas' Lider zu schließen - er hatte die Augen nicht mehr geöffnet. »Schlaf nun, treuer und ergebener Diener der Nephilim«, sagte Will leise, ohne genau zu wissen, woher diese Worte kamen. »Schlaf. Und danke für alles.«
Natürlich reichte das nicht ... nicht einmal annähernd, doch mehr hatte er im Moment nicht zu bieten. Hastig rappelte Will sich auf und lief die Wendeltreppe hinauf.
Nachdem sich die Tür hinter den Klockwerk-Kreaturen geschlossen hatte, breitete sich eine unbehagliche Stille im Sanktuarium aus, die nur vom Plätschern des Springbrunnens hinter Tessas Rücken durchbrochen wurde.
Mortmain stand reglos da und musterte sie schweigend. Auch jetzt bot er noch immer keinen Furcht einflößenden Anblick, überlegte Tessa: Ein kleiner, ganz gewöhnlicher Mann mit dunklen, an den Schläfen ergrauten Haaren und eigentümlich hellen Augen.
»Miss Gray«, hob er nun an, »ich hatte so gehofft, unsere erste alleinige Zusammenkunft hätte unter anderen Umständen stattfinden und für uns beide ein bedeutend angenehmeres Erlebnis sein können.«
Tessas Augen brannten. »Was sind Sie?«, stieß sie hervor. »Ein Hexenmeister?«
Mortmain quittierte ihre Frage mit einem schnellen, kalten Lächeln. »Bloß ein kleines Menschlein, Miss Gray.«
»Aber Sie haben Magie angewandt«, hielt Tessa entgegen. »Sie haben mit Wills Stimme gesprochen ...«
»Ein jeder kann lernen, die Stimmen anderer zu imitieren; dazu bedarf es nur etwas Übung«, erwiderte Mortmain. »Es war nichts weiter als eine kleine List, ein simpler Taschenspielertrick. Damit rechnet niemand und schon gar nicht die Nephilim. Sie glauben, dass wir Menschen Nichtsnutze sind und auch für nichts zu gebrauchen.«
»Nein«, wisperte Tessa. »Das glauben sie keineswegs.«
Mortmains Mundwinkel zuckten. »Wie rasch Sie sie in Ihr kleines Herz geschlossen haben ... Ihre natürlichen Feinde. Aber das werden wir Ihnen schnell wieder abgewöhnen.« Er machte einen Schritt auf Tessa zu, worauf diese zurückwich. »Ich werde Ihnen nichts tun«, sagte er. »Ich will Ihnen bloß etwas zeigen.« Dann griff er in seinen Mantel und zog eine elegante goldene Taschenuhr an einer dicken Goldkette hervor.
Fragt er sich etwa, wie spät es ist?, dachte Tessa und spürte, wie ein hysterisches Kichern in ihrer Kehle aufstieg. Aber es gelang ihr, diesen Drang zu unterdrücken.
Mortmain streckte ihr den Zeitmesser entgegen. »Miss Gray«, sagte er, »bitte nehmen Sie diese Uhr.«
Misstrauisch starrte Tessa ihn an. »Nein, ich will sie nicht.«
Erneut machte er einen Schritt auf sie zu und Tessa wich so weit zurück, bis ihre Röcke die niedrige Brüstung des Steinbrunnens berührten. »Nehmen Sie die Uhr, Miss Gray.«
Tessa schüttelte den Kopf.
»Nehmen Sie sie!«, sagte Mortmain drohend. »Oder ich werde meine Klockwerk-Diener herbeizitieren und ihnen befehlen, Ihren beiden Freundinnen so lange den Hals zuzudrücken, bis sie tot sind. Ich brauche bloß zu dieser Tür zu gehen und sie zu rufen. Es liegt ganz bei Ihnen.«
Tessa spürte bittere Gallenflüssigkeit in ihrer Kehle aufsteigen. Angewidert starrte sie auf die entgegenstreckte Taschenuhr, die an ihrer goldenen Kette hin und her baumelte. Die Uhr war eindeutig nicht aufgezogen - die Zeiger hatten schon lange aufgehört, sich zu drehen, und die Zeit schien um Mitternacht stehen geblieben zu sein. Auf der Rückseite des Uhrgehäuses waren die Initialen" T. S. in einer eleganten Schrift eingraviert. »Warum?«, wisperte Tessa. »Warum wollen Sie, dass ich die Uhr entgegennehme?«
»Weil ich will, dass Sie sich verwandeln«, erklärte Mortmain. Ruckartig hob Tessa den Kopf und starrte ihn ungläubig an. »Was?«
»Diese Uhr hat einst jemandem gehört«, sagte Mortmain. »Jemandem, den ich sehr gern noch einmal sprechen möchte.« Seine Stimme klang gleichmütig, doch darunter lag ein seltsamer Unterton, eine brennende Gier, die Tessa mehr Angst einjagte, als jeder Wutausbruch es vermocht hätte. »Ich weiß, dass die Dunklen Schwestern Sie in der Kunst der Verwandlung unterrichtet haben«, fuhr Mortmain fort. »Und ich weiß, dass Sie Ihre Fähigkeiten kennen. Sie sind die Einzige auf der ganzen
Weitere Kostenlose Bücher