Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
etwas über diese Automaten?«, fragte Charlotte drängend und beugte sich begierig vor. »Irgendetwas, das uns weiterhelfen könnte? Hat de Quincey in Ihrer Gegenwart je darüber gesprochen?«
Nate ließ sich gegen die Sessellehne sinken. »Ja, schon. Aber das Meiste habe ich nicht verstanden. Ich bin technisch nicht sehr begabt ...«
»Ach, die Sache ist ganz einfach«, mischte Henry sich in einem beruhigenden Ton ein - wie jemand, der eine verängstigte Katze zu besänftigen versucht. »Im Augenblick funktionieren de Quinceys Kreaturen nur aufgrund eines inneren Mechanismus: Sie müssen aufgezogen werden, genau wie Uhren. Aber wir haben in seiner Bibliothek die Abschrift einer Zauberformel gefunden, die den Schluss nahelegt, dass er nach einer Möglichkeit sucht, seine Kreaturen mit Leben zu erfüllen ... ihre Klockwerk-Hülle mit Dämonenenergie zu verquicken und damit zum Leben zu erwecken.«
»Oh, das meinen Sie! Ja, darüber hat er mehrfach gesprochen«, erwiderte Nathaniel, erfreut wie ein kleines Kind, das im Unterricht die richtige Antwort zu geben wusste.
Tessa konnte förmlich sehen, wie die Schattenjäger die Ohren spitzten - endlich erhielten sie die Sorte von Informationen, die sie wirklich interessierte.
»Das war einer der Gründe, warum de Quincey die Dunklen Schwestern überhaupt in Dienst genommen hat - nicht nur um Tessa auszubilden«, fuhr Nate fort. »Die Schwestern sind Hexen und sollten für ihn untersuchen, auf welchem Weg eine Verquickung vorgenommen werden konnte. Und das ist ihnen auch gelungen. Zwar erst vor ein paar Wochen, aber sie haben einen Weg gefunden.«
»Tatsächlich?«, fragte Charlotte bestürzt. »Aber warum hat de Quincey diese Formel noch nicht angewendet? Worauf wartet er denn?«
Nate schaute von Charlottes besorgter Miene zu Tessa und danach in die Runde. »Ich ... ich dachte, Sie wüssten das. De Quincey sagte, dass die Verquickungsformel nur bei Vollmond durchgeführt werden könne. Bei Vollendung des zweiten Mondviertels werden die Dunklen Schwestern sich ans Werk machen und dann ... de Quincey hat Dutzende dieser Kreaturen in seinem Versteck gehortet. Und ich weiß, dass er vorhat, noch viel mehr dieser Klockwerk-Monster zu erschaffen - Hunderte, wenn nicht gar Tausende. Vermutlich wird er sie dann mit Leben erfüllen lassen und ...«
»Bei Vollmond?«, hakte Charlotte nach, warf einen Blick aus dem Fenster und biss sich auf die Lippe. »Das wird schon sehr bald sein - ich glaube, morgen Abend.«
Jem richtete sich ruckartig auf. »Ich laufe kurz in die Bibliothek und überprüfe das in der Mondphasentabelle. Bin gleich wieder da«, verkündete er und verschwand im nächsten Moment durch die Tür.
»Sind Sie sich auch ganz sicher?«, wandte Charlotte sich erneut an Nate.
Nate nickte und schluckte dann laut. »Als Tessa den Dunklen Schwestern entkommen konnte, gab de Quincey mir die Schuld an ihrer Flucht, obwohl ich überhaupt nichts davon gewusst hatte. Er verkündete, dass er mich zur Strafe den Kindern der Nacht überlassen werde und diese mir sämtliches Blut aus dem Leib saugen würden. Dann sperrte er mich tagelang ein, bis zum Abend der Soiree, kümmerte sich aber nicht mehr darum, was er in meiner Gegenwart sagte oder besser verschwiegen hätte. Denn er wusste, dass ich ohnehin sterben würde. Ich hörte, wie er davon sprach, dass es den Dunklen Schwestern gelungen sei, die Verquickungsformel fertigzustellen. Und dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis alle Nephilim vernichtet wären und die Mitglieder des Pandemonium Clubs London regieren würden.«
»Haben Sie irgendeine Idee, wo de Quincey sich im Moment verborgen halten könnte - nun, da seine Villa niedergebrannt ist?«, fragte Will mit rauer Stimme.
Nate musterte ihn erschöpft. »Er hat in Chelsea einen Schlupfwinkel. Wahrscheinlich versteckt er sich dort zusammen mit seinen Anhängern - sein Clan umfasst bestimmt noch hundert weitere Vampire, die an jenem Abend nicht in seiner Villa weilten. Ich weiß genau, wo dieser Ort ist. Ich könnte ihn auf einem Stadtplan zeigen ...« Er verstummte abrupt, als Jem mit weit aufgerissenen Augen in den Salon hereinplatzte.
»Vollmond ist nicht erst morgen«, stieß Jem hervor. »Der Mond rundet sich bereits heute.«
17
DAS NAHEN DER DUNKLEN ZEIT
Der alte Turm nebst Gartenmauer -
nass-schwarz im Herbstekleid.
Und trostlos künden Wind und Schauer
das Nah'n der dunklen Zeit.
EMILY BRONTE,
»DER ALTE TURM«
Während Charlotte in die Bibliothek
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