0468 - Grab-Phantome greifen an
Raubend, plündernd und mordend hatten sie sich ihren Weg gesucht und waren in den Teil des karolingischen Reiches eingefallen, der sehr dünn besiedelt war. Ihr Götze hatte ihnen befohlen, eine Opferstelle zu errichten. Mitten im Wald, auf einer kleinen Lichtung, wo auch der schmale Bach herfloß, der ihnen Wasser gab.
Manchmal beugten sich die Zweige der Bäume unter den heranjagenden Windböen. Sie schüttelten sich, Blätter wirbelten durch die Luft und glitten taumelnd zu Boden.
Das Gras zeigte bereits die herbstliche Färbung. Es wuchs nichts mehr, der Sturm und die Kälte hielten Einzug, und die Menschen würden bald Schutz vor dem Winter suchen.
Als sie aus dem fernen Land aufgebrochen waren, hatten sie die doppelte Anzahl gezählt. In zahlreichen Kämpfen und wilden Schlachten hatten sie sich behaupten müssen, jetzt zählten sie nur noch fünfzehn Krieger.
Ihr Anführer hieß Turga. Er war groß, hager, bestand nur aus Muskeln und Sehnen, ein zweibeiniger Steppenwolf, wild und grausam. Er kannte nur das, Gesetz des Stärkeren. Seine Waffen waren das Schwert, der Bogen und die Axt.
Viel Blut floß, wenn er mit seinen Gegnern kämpfte. Manche hielten ihn für unbesiegbar, denn er hatte behauptet, ein Sohn des Götzen zu sein. Er war größer als die anderen, sein fettes Haar, pechschwarz wie das Gefieder eines Raben, baumelte zu Zöpfen geflochten, links und rechts des Kopfes. Es berührte die breiten, eckig wirkenden Schultern des Kriegers. Wenn er sich drehte, wurden die Zöpfe hochgewirbelt wie der Rock eines Mädchens.
Turga war dicht an das Feuer herangetreten. Es brannte nicht auf dem Waldboden, sondern auf dem Altar, den die Horde aus schweren Steinen errichtet hatte.
Der Götze brauchte eine Opferstätte, und die wollten ihm die Krieger geben, denn er sollte sich unter ihnen wohl fühlen.
Turga fiel auf die Knie. Er beugte seinen Oberkörper dabei zurück, hob die Arme an, und es sah so aus, als wollte er die ganze Welt umarmen.
Es war für ihn eine Symbolik, und es schien einen Moment später so, als wollten ihm die grünen Flammen gehorchen. Sie bewegten sich auf ihn zu.
Die anderen Krieger sahen es und hielten dies für einen Zauber.
Sie warfen sich zu Boden und preßten ihre Gesichter gegen den weichen, feuchten Untergrund.
Nur Turga blieb knien.
Er sprach zu dem Götzen mit einer rauh klingenden Stimme.
Dabei funkelten seine dunklen Augen, und in den Pupillen spiegelte sich der tanzende Schein des grünen Feuers wider.
Turga spürte etwas in sich, für das er keine Erklärung wußte. Er bezeichnete es als die Kraft des Götzen, und er beugte den sehnigen Oberkörper so weit vor, daß er mit der Stirn den Boden berührte.
Ein Zeichen seiner Dankbarkeit.
Der Götze lebte in den Flammen. Sie rollten über den krummen Rücken des Wilden, verletzten ihn aber nicht.
Turga blieb in dieser Haltung. Er zeigte Demut, denn Baal war der einzige, vor dem er sich beugte. Kein anderer hatte das je erlebt.
Da griff dieser zweibeinige Steppenwolf lieber zu den Waffen, um den umzubringen, der eine solche Geste von ihm gefordert hätte.
Als sich die Flammen wieder auf die Altarplatte zurückzogen, richtete auch er sich auf. Sein Gesicht wurde grünrot angestrahlt.
Der Widerschein ließ es wie eine schillernde Maske aussehen. Die Züge wirkten unbeweglich, eingefroren. In den Augen nistete ein dämonischer Ausdruck. Ein Beweis dafür, daß der Götze sich ihm offenbart hatte. Turga wußte nun, was er tun mußte.
Er stand breitbeinig vor dem Feueraltar, verbeugte sich noch einmal und drehte sich dann um.
Turga schaute auf seine Horde. Die Geste wirkte ärgerlich, als er den Kopf schüttelte. Dann ging er mit wuchtigen schritten auf sie zu.
Jedem Krieger trat er in die Seite. Er scheuchte sie hoch und begleitete seine Tritte mit rauhen Worten.
Die Krieger verstanden.
Sie standen auf, schauten ihn an und bildeten einen Halbkreis vor ihm. Es war kalt geworden. Vor ihren rauhen Lippen dampfte der Atem, und sie erkannten sofort, daß Turga mit dem Götzen in Kontakt gestanden hatte. Er nickte.
Dann sprach er mit ihnen. Er redete von der Macht des Götzen und davon, daß Baal ein Opfer verlangte.
»Eine Frau!« rief er.
Die Meute johlte und schrie. Sie wußten genau, was sie zu tun hatten, denn die Frau hatten sie schon längst geraubt. Zwei von ihnen nahmen Fackeln hoch und drangen über einen schmalen Pfad in den naheliegenden Wald ein.
Sehr weit brauchten sie nicht zu gehen. Nur bis zu
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