Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
willigte widerstrebend ein, mich mitzunehmen. Vermutlich blieb ihm keine andere Wahl. An jenem Abend fand die Zusammenkunft in de Quinceys Stadtvilla statt. Doch in dem Moment, in dem sich die Haustür öffnete, wusste ich sofort, dass ich der Narr gewesen war. Hier traf sich keine Gruppe von Amateuren, die sich ein wenig mit Spiritismus beschäftigte - dies war die Verborgene Welt, die meine Mutter in ihrem Tagebuch nur andeutungsweise erwähnt hatte. Dies war real. Ich kann meine Bestürzung beim Anblick der Gäste kaum in Worte fassen: Groteske Gestalten aller Art füllten die Räume. Die Dunklen Schwestern saßen am Spieltisch und warfen mir über die Whist-Karten in ihren Krallen lüsterne Blicke zu. Frauen mit weiß gepuderten Gesichtern und schneeweißen Schultern lächelten mich an, während Blut aus ihren Mundwinkeln tropfte. Kleine Kreaturen, deren Augen beständig die Farbe wechselten, huschten über den Boden. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass all diese Wesen wirklich existierten - was ich Mortmain gegenüber dann auch erwähnte.
›Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Nathaniel‹, erwiderte er.
Nun, dieses Zitat kannte ich von dir, Tessa. Du hast mir ja immer aus Shakespeares Werken vorgelesen und manchmal habe ich sogar zugehört. Ich wollte Mortmain gerade auffordern, sich nicht über mich lustig zu machen, als ein Mann zu uns trat. Mortmain erstarrte vor Anspannung, so als wäre dieser Mann jemand, den er sehr fürchtete. Dann stellte er mich als Nathaniel vor, seinen neuen Mitarbeiter, und verriet mir im Gegenzug den Namen des Gastgebers: de Quincey.
Als de Quincey mir ein höfliches Lächeln schenkte, wusste ich sofort, dass er kein Mensch war. Noch nie zuvor hatte ich einen leibhaftigen Vampir gesehen, mit der totenbleichen Haut und den spitzen Zähnen, die beim Lächeln zum Vorschein traten. Ich glaube, ich habe ihn einfach nur angestarrt. ›Mortmain, Sie verschweigen mir schon wieder etwas‹, näselte de Quincey. ›Dieser junge Mann ist bedeutend mehr als nur ein neuer Mitarbeiter. Dies ist Nathaniel Gray, der Sohn von Elizabeth und Richard Gray.‹
Mortmain schaute ihn verblüfft an und stammelte irgendetwas, woraufhin de Quincey leise lachte. ›Mir kommt so manches zu Ohren, Axel‹, erwiderte er und wandte sich dann erneut an mich. ›Ich habe Ihren Vater gekannt. Er war mir sehr ans Herz gewachsen‹, teilte er mir mit. ›Vielleicht hätten Sie ja Lust, mich auf eine Partie Karten zu begleiten?‹
Mortmain, der einen Schritt hinter de Quincey stand, schüttelte hastig den Kopf, doch ich hatte bereits beim Betreten des Hauses den Kartensaal entdeckt und es zog mich zu den Spieltischen wie die Motte zum Licht. Also verbrachte ich die darauffolgenden Stunden beim Pharao und spielte gegen einen Vampir, zwei Werwölfe und einen haarigen Hexenmeister. In jener Nacht habe ich ordentlich Zaster gemacht - viel Geld gewonnen - und reichlich getrunken, vor allem diese farbenfrohen, moussierenden Getränke, die freigiebig auf Silbertabletts gereicht wurden. Irgendwann nahm Mortmain seinen Hut und ging, doch das kümmerte mich nicht. Ich verließ die Villa erst bei Anbruch der Morgendämmerung, in unbändiger Ausgelassenheit - und mit de Quinceys Einladung, jederzeit in den Club zurückzukehren, wann immer es mich danach gelüstete.
Natürlich war ich ein Narr. Ich empfand nur deswegen ein solches Hochgefühl, weil der Schaumwein mit einem Hexentrank versetzt gewesen war, einem süchtig machenden Stoff. Und selbstverständlich hatte ich nur deshalb gewonnen, weil man es mir gestattet hatte. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich bereits am nächsten Abend zurückkehrte, ohne Mortmain, und von da an Nacht für Nacht. Zunächst gewann ich, regelmäßig und beständig. Nur dadurch - und ganz gewiss nicht aufgrund meiner Anstellung bei Mortmain - war ich in der Lage, Tante Harriet und dir Geld nach Hause zu schicken, Tessie. Abgesehen davon, dass ich nur noch unregelmäßig im Büro aufkreuzte, konnte ich mich auch kaum auf meine Arbeit konzentrieren, nicht einmal auf die einfachsten Aufgaben. Meine Gedanken kreisten den ganzen Tag nur darum, dass ich am Abend in den Club zurückkehren würde, um noch mehr perlende Getränke zu mir zu nehmen und noch mehr Geld zu gewinnen.
Und dann, eines Abends, endete meine ›Glückssträhne‹: Ich verlor. Und je mehr ich verlor, desto verzweifelter versuchte ich, das verlorene Geld
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