Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
zu erschlagen, hab ich ihn nicht mehr gesehen. Er hat es allerdings sportlich genommen. Hat nicht mal mit der Wimper gezuckt.«
»Na großartig«, bemerkte Simon. Die beiden Domestiken starrten ihn weiterhin unverwandt an. Ihre blassen Augen schimmerten in einem gräulichen Weiß, wie schmutziger Schnee. »Wenn Raphael mich in seinem Clan aufnehmen möchte, dann nur, weil er irgendetwas von mir will. Ihr könnt mir also genauso gut auch gleich hier an Ort und Stelle sagen, worum es dabei geht.«
»Wir sind in die Pläne des Oberhauptes nicht eingeweiht«, erwiderte Mr Archer in leicht hochnäsigem Ton.
»Tja, das ist dann Pech«, meinte Simon. »In dem Fall muss Raphael wohl auf mich verzichten.«
»Wenn Sie uns nicht freiwillig begleiten, sind wir befugt, Sie nötigenfalls mit Gewalt zu unserem Oberhaupt zu bringen.«
Der Dolch schien wie von selbst in Isabelles Hand zu springen — zumindest hatte es den Anschein, da sie sich kaum bewegt hatte. Dennoch hielt sie die Waffe plötzlich in den Fingern und drehte sie leichthändig. »An eurer Stelle würde ich das gar nicht erst versuchen.«
Mr Archer fletschte die Zähne und knurrte: »Seit wann betätigen sich die Kinder des Erzengels als Leibwächter für entartete Schattenweltler? Ich hätte angenommen, dass so etwas unterhalb Ihres Niveaus wäre, Isabelle Lightwood.«
»Ich bin nicht sein Bodyguard«, entgegnete Isabelle. »Ich bin seine feste Freundin . Und das verleiht mir das Recht, euch die Hölle heißzumachen, wenn ihr ihm lästig fallt. Und damit basta.«
Feste Freundin? Simon war derart überrascht, dass er sie verblüfft ansah, doch Isabelle fixierte die beiden Domestiken mit einem Funkeln in den dunklen Augen. Einerseits konnte Simon sich nicht erinnern, dass Isabelle sich jemals zuvor als seine Freundin bezeichnet hatte, andererseits war dies symptomatisch dafür, wie seltsam sein Leben inzwischen verlief: Isabelles Bemerkung hatte ihn mehr aus der Bahn geworfen als die Tatsache, dass man ihn gerade zu einem Treffen mit dem mächtigsten Vampir New Yorks herbeizitieren wollte.
»Unser Oberhaupt«, setzte Mr Walker in einem Tonfall an, den er vermutlich für besänftigend hielt, »möchte dem Tageslichtler einen Vorschlag unterbreiten …«
»Sein Name ist Simon. Simon Lewis.«
»Möchte Mr Lewis einen Vorschlag unterbreiten. Ich kann Ihnen versichern: Mr Lewis wird feststellen, dass es für ihn äußerst lukrativ ist, wenn er sich bereit erklärt, uns zu begleiten und den Vorschlag unseres Oberhauptes anzuhören. Ich schwöre bei der Ehre unseres Oberhauptes, dass Ihnen kein Schaden zugefügt werden wird, Tageslichtler. Und falls Sie das Angebot unseres Oberhauptes auszuschlagen wünschen, steht Ihnen dies vollkommen frei.«
Unser Oberhaupt dies, unser Oberhaupt jenes. Mr Walker sprach diese Worte mit einer solchen Mischung aus Bewunderung und Ehrfurcht, dass Simon innerlich schauderte. Wie schrecklich, derart an jemand anderen gebunden zu sein und keinen eigenen Willen mehr zu besitzen.
Isabelle schüttelte den Kopf, sah Simon eindringlich an und formulierte mit den Lippen ein stummes »Nein«.
Vermutlich hatte sie recht, dachte Simon. Isabelle war eine hervorragende Schattenjägerin. Sie ging bereits seit ihrem zwölften Lebensjahr auf die Jagd nach Dämonen und gesetzlosen Schattenwesen — bösartigen Vampiren, Hexenmeistern, die schwarze Magie betrieben, Werwölfen, die Amok liefen und Menschen anfielen. In ihrem Metier war Isabelle wahrscheinlich besser als jeder andere Nephilim ihres Alters, mal abgesehen von ihrem Stiefbruder Jace. Und Sebastian nicht zu vergessen, überlegte Simon — Sebastian, der noch besser gewesen war als diese beiden. Aber er lebte nicht mehr.
»Also gut«, sagte er. »Ich komme mit.«
Isabelle riss die Augen auf. »Simon!«
Beide Domestiken rieben sich die Hände wie Schurken in einem Comicheft. Dabei war nicht die Geste an sich unheimlich, sondern eher die Tatsache, dass sie sich im exakt selben Moment und auf genau dieselbe Weise die Hände rieben — wie Marionetten, an deren Fäden gleichzeitig gezogen wurde.
»Ausgezeichnet«, sagte Mr Archer.
Klirrend knallte Isabelle den Dolch auf den Tisch und beugte sich vor, wobei ihre glänzenden dunklen Haare über die Tischplatte streiften. »Sei doch nicht dämlich, Simon«, wisperte sie eindringlich. »Es besteht nicht der geringste Grund, sie zu begleiten. Und außerdem ist Raphael ein Blödmann.«
»Raphael ist der Anführer eines Vampirclans«,
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