Code Delta
0 . »Dies ist das Null-Axiom, entwickelt von Terence Witt, welches besagt, dass die Differenz von nichts nichts ist. Das bedeutet gleichzeitig, dass alles aus nichts besteht. Daher hatte das Universum nie einen Anfang, denn es ist nichts, und damit auch grenzen- und zeitlos.«
Davidson sah auf die Uhr. »Grenzenlos beschreibt auch meine Gedanken zu dem Thema, aber ich muss gleich auf dem Symposium eine Rede halten, daher werde ich mich nicht weiter über Nicht-Expansion, kosmische Mikrowellen, zerfallende Photonen oder ewiges Gleichgewicht auslassen, sondern gleich zum theologischen Kern der Angelegenheit kommen.
Die Nullphysik beschreibt auf mathematische Weise, wie Realität zur Existenz gesprochen wird. So, wie ein Journalist eine Story künstlich erzeugt, indem er den Kontext der Fakten ändert, wird das Nichtreale durch die Worte eines Schöpfers real, der einen Zusammenhang im grenzenlosen Nichts spinnt und so eine Geschichte erzählt.«
King wiegte den Kopf. »Wenn also … Gott« – er malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft – »die Existenz ins Sein gesprochen hat – welche Sprache hat er dabei benutzt?«
Davidson brach in Gelächter aus. Als er merkte, dass keiner seiner Gäste einstimmte, verstummte er. »Sie meinen das ernst? Die Sprache Gottes?«
»Allerdings«, erwiderte Alexander.
Der Stift wanderte wieder zwischen Davidsons Zähne. »Es gibt Spekulationen, dass die DNA die Sprache Gottes sei. Sie besitzt einen Code – ein Alphabet, wenn Sie so wollen –, Rechtschreibregeln und Grammatik, außerdem Sinn und Zweck. In vielerlei Hinsicht ähnelt sie einer Computersprache. Und siebenundneunzig Prozent davon gelten als funktionslos, was nur bedeutet, dass wir den Text erst noch entschlüsseln müssen. Außerdem gehorcht sie Zipfs Gesetz, welches besagt, dass man, wenn man die Wörter in einem Dokument, beispielsweise einem Roman, nach ihrer Häufigkeit gestaffelt in ein Diagramm einträgt, eine gerade Linie erhält. Spaltet man die DNA in ihre Einzelteile auf und ordnet diese nach ihrer Häufigkeit an, erhält man exakt eine solches Ergebnis. Voilá, es ist eine Sprache!«
»Aber man kann die Sprache der DNA nicht sprechen«, sagte King. »Man kann sie nicht verbalisieren.«
»In unserem Fall ist das gar nicht nötig. Sie ist bereits vorhanden, und wenn Ihre Sprache den Kontext spinnt …« Davidsons Augen leuchteten auf. »Forscher am Hado-Institut in Australien haben demonstriert, dass Wörter die physische Welt beeinflussen können. Das gesprochene Wort erzeugt Schallwellen. Jedes Wort hat seine eigene, einzigartige Schwingungsstruktur – sein eigenes Muster. Die Kollegen in Australien haben unterschiedliche Wörter, positiv und negativ belegte, in Wasser hineingesprochen und es anschließend eingefroren, also in seinen kristallinen Zustand überführt. Wasser, das den Wörtern ›Engel‹, ›schön‹ und ›Leben‹ ausgesetzt wurde, ergab atemberaubende schöne Kristalle. Bei Wörtern wie ›schmutzig‹, ›Teufel‹ und ›Tod‹ waren sie missgestaltet, rissig und platzten, fast so, als wäre etwas in ihrem Inneren explodiert.
Eine Schallwelle ist im Grunde nichts anderes als eine Störung, die sich durch ein Medium fortpflanzt und Energie von einem Anfangs- zu einem Endpunkt überträgt. Und wo Energie ist, da ist auch Information. Wir nehmen Schallwellen mit den Ohren wahr. Aber der Schall enthält wesentlich mehr Informationen, als unser Gehirn entziffern kann.«
»Wenn der Schall die physische Welt um uns herum verändert, warum merken wir dann nichts davon?«, wollte King wissen.
»Uns sind durch unsere Sinne Grenzen gesetzt. So, wie unsere Ohren nicht jede Information hören können, die der Schall enthält, entgehen auch unseren anderen Sinnen viele Details. Nehmen Sie als Beispiel Steganographie.«
King nickte. Mit dem Einsatz von Steganographie war er vertraut. Mikropunkte, Morsecodes in Stoffmustern, in Fotografien versteckte Zeichensprache – beim Militär hatte der Einsatz solcher Tricks bereits seine eigene Geschichte. In jüngerer Vergangenheit nutzten Terroristen diese Technologie, um in Internetforen über Avatare Nachrichten zu verschlüsseln.
Davidson klappte seinen Laptop auf, tippte etwas ein und rief eine Website auf. Er zeigte ihnen das Foto auf dem Bildschirm.
»Obwohl das hier wie ein ganz gewöhnliches Foto einer Küstenlandschaft aussieht, ist es viel mehr als das. Wenn man die Pixel entsprechend anordnet, kann man Text oder ganz
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