Coetzee, J. M.
schlief sie ein, und
ihr Schlaf war voll von Träumen vom Tod. Aber am Morgen, als sie wieder
auftauchte, war es hell und friedlich. Und der Wagen tauchte mit ihr auf, und
ihre Eltern tauchten auch wieder auf, und alles war gut, so wie es vorher
gewesen war.«
Es war nun
an ihm, etwas zu sagen, etwas über Berge oder Autos oder Fahrräder oder über
sich oder seine Kindheit. Aber er schwieg hartnäckig.
»Sie hat
niemandem erzählt, was vorgegangen war in der Nacht«, begann ich wieder.
»Vielleicht hat sie abgewartet, bis ich da bin. Ich hörte die Geschichte viele
Male von ihr, in vielen Formen. Immer waren sie unterwegs zum Piesangs River.
So ein lieblicher, goldener Name! Ich war sicher, es mußte das schönste
Fleckchen auf Erden sein. Jahre nach dem Tod meiner Mutter fuhr ich nach
Plettenberg Bay und sah zum erstenmal den Piesangs River. Es ist überhaupt kein
Fluß, nur ein von Röhricht ersticktes Rinnsal, und abends Moskitos, und ein
Platz voller Wohnwagen mit schreienden Kindern und dicken, barfüßigen Männern
in Shorts, die auf Gaskochern Würste braten. Überhaupt nicht das Paradies.
Kein Ort,
zu dem man Jahr für Jahr durch Täler und über Berge eine Reise unternimmt.«
Jetzt
quälte sich der Wagen den Boyes Drive hinauf, willig aber alt, wie Rosinante.
Ich faßte das Lenkrad fester, als könnte das die Karre antreiben.
Oberhalb
von Muizenberg, mit Blick auf den Bogen von False Bay, parkte ich und schaltete
den Motor aus. Der Hund begann zu winseln. Wir ließen ihn hinaus. Er
beschnupperte die Bordsteine, beschnupperte die Büsche und erleichterte sich,
indes wir in peinlichem Schweigen zusahen.
Er sprach: »Sie stehn
falsch rum«, sagte er. »Die Schnauze sollte bergab zeigen.«
Ich ließ mir meinen Ärger
nicht anmerken. Ich habe immer den Wunsch gehabt, als eine fähige Person zu
gelten. Jetzt mehr denn je, wo Unfähigkeit im Anzug war.
»Sind Sie
vom Kap?« sagte ich.
»Ja.«
»Und haben
Sie Ihr ganzes Leben hier verbracht?«
Er verlagerte unruhig sein
Gewicht. Zwei Fragen: eine zuviel.
Ein Brecher, vollkommen
gerade, Hunderte von Yards lang, rollte landwärts, vor ihm dahingleitend eine
einzelne geduckte Gestalt auf einem Surfboard. Auf der anderen Seite der Bucht
ragten klar und blau die Berge von Hottentots Holland auf. Hunger, dachte ich:
es ist ein Hunger der Augen, den ich fühle, solch ein Hunger, daß ich nicht
einmal zwinkern mag. Diese Wogen, diese Berge: ich möchte sie meinem
Gesichtssinn so tief einbrennen, daß ich sie, wohin ich auch gehe, stets vor
mir habe. Ich bin hungrig vor Liebe zu dieser Welt.
Eine
Spatzenschar ließ sich in den Büschen um uns herum nieder, putzte sich und
schwirrte wieder davon. Der Surfer erreichte das Ufer und begann den Strand
hinaufzustapfen. Plötzlich hatte ich Tränen in den Augen. Weil ich nicht
zwinkere, sagte ich mir. In Wahrheit aber weinte ich. Über das Lenkrad gebeugt,
ließ ich mich gehen, zuerst zu einem leisen, verhaltenen Schluchzen, dann zu
langen, wimmernden Lauten ohne Gliederung, Entleerungen der Lunge, Entleerungen
des Herzens. »Tut mir leid«, keuchte ich; und dann, als ich ruhiger war: »Es
tut mir wirklich leid, ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.«
Ich hätte
mir die Entschuldigung sparen können. Er schien überhaupt nichts bemerkt zu
haben.
Ich
trocknete mir die Augen, schneuzte mir die Nase. »Fahren wir?« sagte ich. Er
machte die Tür auf, gab einen langen Pfeifton von sich. Der Hund sprang herein.
Ein gehorsamer Hund, zweifellos einer guten Familie gestohlen.
Der Wagen
stand tatsächlich falsch herum.
»Lassen Sie
ihn im Rückwärtsgang anspringen«, sagte er.
Ich löste die Handbremse,
rollte ein Stückchen rückwärts bergab und ließ die Kupplung kommen. Der Wagen
erschauderte und blieb stehen. »Er ist noch nie im Rückwärtsgang angesprungen«,
sagte ich.
»Wenden Sie«, dirigierte er
mich wie ein Ehemann, der eine Fahrstunde gibt.
Ich ließ den Wagen weiter
bergab rollen und schwenkte dann herum auf die andere Straßenseite. Mit
schmetterndem Hupsignal schoß ein großer weißer Mercedes an der Innenseite
vorbei. »Den hab ich nicht gesehn!« japste ich.
»Los!« schrie er.
Erstaunt
blickte ich diesen Fremden an, der mich da anschrie. »Los!« schrie er wieder,
direkt mir ins Gesicht.
Der Motor
zündete. Hartnäckig schweigend fuhr ich zurück. An der Ecke der Mill Street
wollte er hinausgelassen werden.
Der schlimmste Geruch kommt
von seinen Schuhen und Füßen. Er braucht Socken. Er
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