Coetzee, J. M.
glatte Lächeln, die
verquollenen Augen. Reiner Geist, dachte ich, doch in welch unwahrscheinlichem
Tempel! Wo befindet dieser Geist sich jetzt? In den Echos meiner tastenden
Darbietung durch den Äther sich zurückziehend? In meinem Herzen, wo die Musik
noch immer tanzt? Hat er seinen Weg auch in das Herz des Mannes gefunden, der
mit lose hängender Hose am Fenster lauscht? Sind unsere zwei Herzen, unsere
Organe der Liebe, für diese flüchtige Dauer durch ein Band des Klanges
verbunden gewesen?
Das Telefon
klingelte: eine Frau in einer der Wohnungen auf der anderen Straßenseite warnte
mich vor einem Landstreicher, den sie auf meinem Grundstück erspäht hatte. »Es
ist kein Landstreicher«, sagte ich. »Es ist ein Mann, der für mich arbeitet.«
Ich werde keine Anrufe mehr
beantworten. Es gibt niemanden, mit dem ich bereit bin zu sprechen, außer mit
Dir und dem dicken Mann auf dem Bild, dem dicken Mann im Himmel; und keiner von
Euch beiden, denke ich, wird anrufen.
Himmel. Den Himmel stelle
ich mir vor als eine Hotelhalle mit einer hohen Decke, und über die
Lautsprecheranlage kommt leise die Kunst der Fuge. Wo man in tiefen
Ledersesseln sitzen und ohne Schmerzen sein kann. Eine Hotelhalle voll von
alten Menschen, die dösend der Musik lauschen, während Seelen vor ihnen hin und
her wallen wie Dämpfe, die Seelen aller. Ein Ort, vollgepackt mit Seelen.
Bekleidet? Ja, bekleidet, nehme ich an; aber mit leeren Händen. Ein Ort, zu dem
man nichts mitbringt als eine abstrakte Art Kleidung und die Erinnerungen in
einem, die Erinnerungen, die einen ausmachen. Ein Ort ohne Zwischenfall. Ein
Bahnhof nach der Abschaffung der Züge. Wo man der himmlischen, nicht endenden
Musik lauscht, auf nichts wartet und müßig den Vorrat der Erinnerungen durchblättert.
Wird es
möglich sein, in diesem Sessel zu sitzen und der Musik zu lauschen, ohne sich
zu grämen wegen des Hauses, das dichtgemacht ist und dunkel, und wegen der
Katzen, die im Garten herumschleichen, ungefüttert, gereizt? Es muß wohl
möglich sein, wozu ist sonst der Himmel da? Doch zu sterben ohne Nachfolge ist
– vergib mir, daß ich das sage – so unnatürlich. Damit Geist und Seele Frieden
finden, wollen wir wissen, wer nach uns kommt, wessen Präsenz die Räume
erfüllt, in denen wir einst zu Hause waren.
Ich denke
an diese verlassenen Farmhäuser, an denen ich im Karoo und an der Westküste
vorbeifuhr, deren Besitzer sich vor Jahren in die Städte verzogen und
zugenagelte und verschlossene Tore und Fenster hinterließen. Jetzt flattert
Wäsche an der Leine, Rauch kommt aus dem Schornstein, Kinder spielen vor der
Hintertür und winken vorbeifahrenden Autos zu. Ein Land im Prozeß der
Wiederinbesitznahme, dessen Erben sich leise melden. Ein mit Gewalt genommenes,
benutztes, ausgeplündertes, heruntergewirtschaftetes, in seinen unfruchtbaren
späten Jahren verlassenes Land. Vielleicht auch geliebt von seinen Schändern,
aber geliebt nur in der Blütezeit seiner Jugend und folglich, nach dem Urteil
der Geschichte, nicht genug geliebt.
Vor drei
Jahren ist bei mir eingebrochen worden (Du erinnerst Dich vielleicht, ich
schrieb Dir darüber). Die Einbrecher nahmen nicht mehr als sie tragen konnten,
aber bevor sie gingen, kippten sie jede Schublade aus, schlitzten jede Matratze
auf, zerschmetterten Steingut, zerbrachen Flaschen und schmissen alle
Lebensmittel in der Speisekammer auf den Fußboden.
»Warum benehmen sie sich
so?« fragte ich fassungslos den Fahnder – »Was haben sie davon?«
»So sind sie eben«,
erwiderte er. »Tiere.«
Danach ließ
ich alle Fenster vergittern. Ein rundlicher Inder hat das gemacht. Nachdem er
die Stäbe in den Rahmen verschraubt hatte, verkleisterte er jeden Schraubenkopf
mit Leim. »Damit sie nicht herausgeschraubt werden können«, erklärte er. Als er
ging, sagte er: »Jetzt bist du sicher«, und tätschelte mir die Hand.
»Jetzt bis
du sicher.« Die Worte eines Tierwärters im Zoo, wenn er für die Nacht
irgendeinen schwingenlosen, unnützen Vogel einsperrt: eine Dronte: die letzte
der Dronten, alt, die keine Eier mehr legt. »Jetzt bis du sicher.« Eingesperrt,
während draußen hungrige Raubtiere herumschleichen. Eine Dronte, quäkend in
ihrem Nest, ein Auge geöffnet im Schlaf, übernächtigt die Dämmerung begrüßend.
Aber sicher, sicher in ihrem Käfig, die Gitterstäbe intakt, die Kabel intakt:
das Telefonkabel, durch das sie im äußersten Notfall um Hilfe rufen kann, das
Fernsehkabel, durch das das Licht der
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