Colours of Love - Verloren: Roman (German Edition)
für einen Moment befürchte, dass mich vielleicht niemand hört und ich wieder gehen muss.
Aber schon nach einem Moment öffnet sich die Tür und Lorenzo kommt heraus, fast so, als hätte er darauf gewartet, dass ich komme. Er sieht anders aus als gestern in der Galerie, denn da trug er einen sehr seriösen Anzug mit Krawatte, genau wie damals auf dem Empfang. Jetzt jedoch ist er deutlich legerer gekleidet, eigentlich sogar schon fast zu sehr, denn das Hemd, das er zu einer Chinohose trägt, ist oben aufgeknöpft, so weit, dass man recht viel von seiner behaarten Brust sehen kann. Nicht, dass er keine gute Figur hätte – aber es ist so … aufdringlich. Außerdem scheint er sich seit gestern nicht rasiert zu haben, denn auf seinen Wangen liegt ein dunkler Schatten. Das steht ihm jedoch nicht, sieht aufgesetzt aus, so als wollte er unbedingt cool wirken. Es passt einfach nicht zu ihm – oder dem Bild, das ich mir von ihm gemacht habe.
Wie wenig mir sein Aufzug gefällt, lasse ich mir jedoch nicht anmerken, erwidere stattdessen sein strahlendes Lächeln und lasse mich von ihm umarmen und auf die Wangen küssen, was eine recht kratzige Angelegenheit ist.
»Sophie, wie schön, dass Sie doch noch gekommen sind!«
Seine Freude über meinen Besuch ist echt, und ich wäre gerne so euphorisch wie er. Doch als ich ihm ins Haus folge, wird meine Müdigkeit bleiern, und ich habe überhaupt keine Lust mehr auf die Party, wünsche mich zurück in mein Bett im »Fortuna«. Das hättest du dir besser früher überlegt, schimpfe ich mit mir selbst und unterdrücke ein Gähnen.
»Kommen Sie, hier entlang«, sagt er und führt mich durch die riesige Eingangshalle, die etwas von einem Museum für moderne Kunst hat – weiße Wände mit vereinzelten, sehr großflächigen Gemälden. Es passt zum Rest des Hauses, denke ich, während wir auf den Lärm zuhalten, denn auch das ist irgendwie zu dick aufgetragen und protzig für ein Wohnhaus. Selbst wenn die Bilder ganz schön sind. Keine Meisterwerke, aber auch nicht so schlecht wie das, was teilweise in der Galerie hing.
Der Wohnbereich ist durch eine breite Glastür von der Halle getrennt, und als Lorenzo sie aufschiebt, begreife ich erst, wie laut die Musik tatsächlich ist, die uns jetzt ohrenbetäubend entgegenschlägt. Der Raum, den wir dann betreten, ist riesig, noch mal größer als die Halle, und während ich dastehe und die Gäste betrachte, frage ich mich plötzlich beklommen, ob ich da vielleicht etwas ganz, ganz falsch verstanden habe.
Andrew war nicht begeistert, als ich vorhin noch kurz bei ihm war – auf dem Weg von der letzten Galerie zurück ins Hotel – und ihm erzählt habe, dass Santarelli mich eingeladen hat. Er meinte, er wäre zwar noch auf keiner von dessen berüchtigten »Künstlerpartys« gewesen – offenbar geht er dem Galeristen genauso aus dem Weg wie Matteo –, aber er hätte gehört, dass es da immer hoch herginge. Abgeschreckt hat mich das jedoch nicht, schließlich habe ich oft mit Künstlern zu tun und bin Exzentrik, schräge Outfits und »laute« Typen gewohnt. Mit so etwas hatte ich gerechnet.
Aber das hier ist – anders. Krass. Hat fast etwas von einer Orgie. Oder bilde ich mir das nur ein?
Ich schließe die Augen und öffne sie wieder, weil ich ein bisschen Angst habe, dass sie mir aufgrund meiner Erschöpfung vielleicht einen Streich spielen. Doch der Eindruck, dass einige Gäste überraschend leicht bekleidet sind, bleibt auch beim zweiten Hinsehen, weil tatsächlich viel nackte Haut zu sehen ist. Und dass es so schwer ist, Details auszumachen, liegt einfach daran, dass das Licht nur sehr gedämpft ist und den großen Raum schlecht ausleuchtet. Erkennen kann man wirklich nur, dass es viele Leute sind, die hier feiern – zumindest stehen oder sitzen sie in Gruppen recht dicht zusammen, was wahrscheinlich schon deshalb nötig ist, weil sie sich sonst bei diesem unglaublichen Lautstärkepegel nicht verständigen könnten. Zu stören scheint die lärmende Musik niemanden, denn die Stimmung wirkt ausgelassen. Extrem ausgelassen sogar. Es gibt zahlreiche Paare, die sich in den Armen liegen, und auf einigen Sofas – davon gibt es eine Menge – kann man fast gar nicht entscheiden, wo der eine Mensch anfängt und der andere aufhört, weil da alle Leib an Leib sitzen.
Irritiert und auch verunsichert versuche ich zu entscheiden, ob ich nicht lieber gehen will – ganz geheuer ist mir diese »Künstlerparty« nämlich plötzlich nicht mehr.
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