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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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stand, erschien mir
diese Wohnung wie ein Sechser im Lotto – nach dem Loch im tiefen Neukölln,
dessen einziger Vorteil darin bestand, dass ich, unerwartet plötzlich
wohnungslos, nicht im Park schlafen musste. Mitten in der City, da wo alle
hinwollen, aus dem Fenster gucken können, zusehen, wie die Welt vorbeizieht. Abends
noch schnell auf ein Bier in die Kneipe an der Ecke. Inzwischen weiß ich, 120
Stufen sind Tag für Tag 120 Stufen. Nach Stufe 60 lege ich regelmäßig eine
Pause ein und hoffe inständig, dass mein rasselnder Atem durch die
Wohnungstüren zu beiden Seiten gedämpft wird. Während ich mir den Schweiß mit
dem Shirt abwischte, summte das Telefon. Schneiderhannes.
    „Was?“
    Er schnauft kurz: „Hab nachgedacht.“
    „Schön -“, ich holte tief Luft, „und weiter?“
    „Nein, noch nicht. Aber, niemand ist doch so
blöd, sich erst neu einzukleiden und dann ins Wasser zu gehen. Richtig?“
    „So weit waren wir ja schon mal, dachte ich.
Aber wenn sie doch ausgerutscht ist, gestolpert und platsch?“
    „Nee, nix am Kopf, kein Kratzer, gar nichts. Also
erst gefallen und dann bewusstlos ertrunken … Irgendwas wäre dann, eine Beule,
ein Hämatom oder, oder ... Kein Dreck unterm Fingernagel, nichts. Du versuchst
doch auch, Dich festzuhalten, macht jeder. Instinkt! Es sei denn, sie hat
wirklich ins Wasser gewollt.“
    Wieder dieser krächzende Husten. Ruckartig nahm
ich das Handy vom Ohr, noch auf einen halben Meter konnte ich ihn bellen hören.
    „Bist Du noch dran?“, in seiner Luftröhre
gluckerte es schleimig.
    „Ja.“
    „Da muss noch was anderes sein.“ Und schon
hatte er aufgelegt.

12
    Sonnabend.
    Mader saß schon an ihrem Schreibtisch und las
den Bericht der Spurensicherung. Ich fühlte mich matt und zerschlagen.
    Die Hitze, Lily, wie ein Braten auf dem
Seziertisch. Ich hatte den Rest der Nacht auf dem Balkon verbracht. Jeder
Versuch einzuschlafen scheiterte.
    „Sieht aus wie ein Unfall, vielleicht
Selbstmord.“
    Mader sah mich halb bittend, halb mitleidig an.
    „Komm, lass uns wieder gehen, da ist nichts.“
    „Blödsinn!“
    Ich erschrak vor mir selbst, bösartig und laut
schleuderte ich ihr das Wort entgegen, sodass sie zusammenzuckte.
    „Tut mir leid. Die Hitze.“
    Ich drehte mich zur Kaffeemaschine.
    „Schneiderhannes findet das alles nicht
sonderlich plausibel. Und um sich zu ertränken gibt’s bessere Plätze.“
    Innerlich hoffte ich, dass er seine Meinung
nicht nur nicht geändert haben würde, sondern endlich auch schwarz auf weiß
niederschrieb. Aber der Fax-Korb war immer noch leer.
    Kaffee, Milch, Zucker, Aschenbecher.
    Mader hatte die Arme über der Brust verschränkt
und wartete. Ich zog meinen Stuhl an ihren Tisch und breitete wortreich unsere nächtliche
Faktenanalyse vor ihr aus: der fabrikneue Slip, die fehlenden Schürf- oder
Kampfspuren, billiger Mini aus Osteuropa. Ich trug alles zusammen, um sie zu
überzeugen: Was wir bislang hatten, ließe auch einen anderen Schluss zu.
    Natürlich hätte ich sie auch einfach einweihen
können, warum eigentlich nicht? Weil ich mich schämte, dass ich jahrelang eine
Beziehung zu einer Nutte hatte? Oder war es die Angst vor ihrer Reaktion, ihrem
Pflichteifer, ihrer Präzision, die mir mitunter unheimlich waren? Ich wusste es
selbst nicht. Wahrscheinlich war das eine so richtig wie das andere.
    Während ich erzählte, hatte Mader immer wieder
etwas auf einen Zettel gekritzelt: Notizen, Striche. Jetzt drehte sie das Blatt
um und schob es auf meine Seite des Tisches.
    „Motiv? – Tatort: Flutgraben – Tatzeit: max. 01:00
Uhr – keine Kampfspuren – ertrunken? / ertränkt? - BETÄUBT?“
    Ich schwieg und schob das Blatt auf dem Tisch
hin und her.
    „Also, wenn es kein Unfall oder Selbstmord war
…“, sie zögerte, „… kann es nur so gewesen sein, sie wurde betäubt. Das heißt, wir
brauchen die Toxikologie, und zwar sofort.“
    „Es ist Sonnabend“, sagte ich und zuckte
bedauernd mit den Schultern.
    Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Hände
hinterm Kopf und sah mich erwartungsvoll an. Allein dieser Blick. Was ahnte,
wusste sie wirklich? Oder war sie nur stolz auf ihre Kombinationsgabe? Ich
gönnte ihr den Moment der Überlegenheit, mein Ausbruch war vergessen, hoffentlich.
    „Heute gibt es keine Toxikologie, schon gar nicht
für eine Nutte.“
    Warum war ich nicht selbst auf den Gedanken
gekommen, gestern Abend, mit Schneiderhannes? Aber das brachte uns jetzt auch nicht
weiter.
    Während ich

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