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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Bürde ausgestattet hat, Probleme zu entdecken, wo gar keine sind. Wir alle kennen die Geschichte vom Gordischen Knoten, der so verwickelt war, daß derjenige, der ihn lösen konnte, zum Herrscher der damaligen Welt werden sollte: Alexander hieb ihn einfach mit dem Schwert entzwei. Mein Vater würde nie und nimmer einen gordischen Knoten zerhauen – er würde ihn womöglich noch weiter verwickeln und zuletzt aufknoten, doch bis dahin wäre das zu gewinnende Reich längst untergegangen. Michael Ramsay, in meinen Kindheitstagen Erzbischof von Canterbury und während meiner religiösen Phase mein Held und Vorbild, wurde einmal von einem Interviewer als weise apostrophiert.
    »Bin ich das?« fragte er zurück. »Ich glaube nicht. Meiner Meinung nach sind es vermutlich nur die dichten Büschel meiner Augenbrauen, die diesen Eindruck erwecken.«
    »Nun, Euer Gnaden«, hakte der Interviewer nach, »wie würden Sie denn Weisheit definieren?«
    »Weisheit?« Ramsay schob das Wort ein paarmal im Mund herum. »Oh, ich würde sagen, Weisheit ist die Fähigkeit, im Leben zurechtzukommen.«
    Auf der Grundlage dieser Definition, der ich mich uneingeschränkt anschließe, würde ich sagen, daß meine Mutter der weisere meiner beiden Elternteile ist.
    Man erbt oder übernimmt jedoch immer nur einen Teil seines Wesens: Meine Heimtücke, Verschlagenheit und mein Esprit, sowohl im Hinblick auf witzige Einfälle wie auf geistige Beweglichkeit, gehören ganz allein mir. Zwar verfügen auch meine Eltern über Witz und Schlagfertigkeit, aber ihr Esprit ist doch grundsätzlich anders als meiner, und was noch besser ist, beide ergänzen sich in geradezu idealer Weise. Von Kindesbeinen an beobachtete ich sie dabei, wie sie jeden Abend gemeinsam das Kreuzworträtsel der ›Times‹ lösten. Für eine bestimmte Sorte Fragen hatte mein Vater stets den richtigen Riecher, für andere meine Mutter, so daßsie in Windeseile sämtliche Antworten gefunden hatten. Manchmal rätselt auch jeder für sich, aber ich denke, gemeinsam macht ihnen die Sache unendlich mehr Spaß. Ich selbst konnte schon früh das ›Times‹-Rätsel lösen, aber ich haßte es, wenn andere mir dabei helfen wollten, und wurde steif wie ein Pappkarton, sobald jemand mir über die Schulter blickte und nach einem Wort fragte. Vermutlich ist darin ein Hinweis auf mein Streben nach Unabhängigkeit zu sehen und der Beweis, daß ich niemanden brauchte, wie meine Eltern einander brauchten, oder sogar der Beweis, daß ich nicht das Bedürfnis verspürte, jemanden zu brauchen, mit anderen Worten, der Beweis für eine tiefsitzende Furcht.
    Auch mein Vater fürchtete sich vor meiner Art von Verstand. Er wußte, daß ich ein gewitzter Bursche war. Ein kleiner Intelligenzbolzen. Er sah bei mir einen Wissenshunger wie bei den Sehen , Staunen , Wissen -Büchern am Werk, ein nachahmendes, kurzschlüssiges Denken, das ganz versessen darauf war, den eigenen Namen gedruckt zu sehen und für sein Wissen gelobt zu werden. Insofern dürfte es niemanden wundern, daß ich damals meine Eltern angebettelt hatte, mich bei Robert Robinsons Fernsehquiz Ask the Family als Kandidat anzumelden. Ja doch, ich war tatsächlich ein so eingebildeter, eitler, unausstehlicher, gräßlicher, unverzeihlicher kleiner Wichtigtuer. Zu meinem Glück und Segen hätte mein Vater sich lieber mit einem scharfkantigen Papier beide Beine abgesägt, als sich auf ein so abartiges Unternehmen einzulassen, wie er ohne jede Diskussion verkündete und dabei schnaubend eine große Rauchwolke aus seiner Pfeife in die Luft stieß. Meine Mutter hätte sich in ihrer Güte vielleicht sogar dazu hergegeben, für mich in die Bresche zu springen und meinem unsäglichen Wunsch nachzukommen, obwohl ich vermute, daß auch sie bei aller Loyalität mir gegenüber erleichtert über die kategorische Absage meines Vaters war.
    Wir alle wissen Bescheid, und mein Vater wußte gottlob Bescheid. Blue Peter , Sehen , Staunen , Wissen , Das Guinness-Buchder Rekorde : Fakten, Fakten, Fakten. Ich strotzte vor Fakten, wie andere Kinder vor Pickel oder Einfalt strotzen. Geschichtsdaten, Hauptstädte, Erfinder, Schriftsteller, Flüsse, Seen und Komponisten. Ich bettelte darum, gefragt zu werden, bettelte, mit meinem Wissen angeben zu dürfen, bettelte wie der kleine Roboter in den Short Circuit -Folgen um immer mehr Input ... Input ... Input ...
    Im Grunde lag darin nichts Beängstigendes. Vielleicht besaß ich eine weltläufigere Art, als man von einem Jungen

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