Columbus war ein Englaender
mano a mano und tête à tête in dem Fach unterrichten, das mir nicht weniger Furcht und Schrecken einjagte.
Wie sollte er auch meine Probleme mit dem Fach verstehen, wo die Mathematik für ihn eine Sprache war, die er so fließend beherrschte wie ein Norweger Norwegisch, ein Spanier Spanisch und ein Musiker die Noten?
Aber es sollte noch dicker kommen. Er studierte die GCE Oxford and Cambridge Board O-Level-Anforderungen in Mathematik und fand sie arg verbesserungsbedürftig. In seinen Augen waren sie niveaulos, läppisch und wenig durchdacht. Seiner Überzeugung nach hatte Mathematik sehr viel mit Schönheit zu tun. In der Schule sollte das Fach daher auch nicht den Naturwissenschaften, sondern den Geisteswissenschaften zugeschlagen werden. Anders als in denNaturwissenschaften brauchte man für die Beschäftigung mit Mathematik kein Grundlagenwissen, sondern mußte nur zählen können. Und selbst das ließe sich seiner Überzeugung nach aus ersten Lehrsätzen ableiten. Selbst einem Sechsjährigen konnte man Mathematik beibringen.
Hin und wieder beschäftigten wir uns auch mit Französisch: Dazu zog er die angestaubte Ausgabe eines seiner Lieblingsbücher, Daudets Lettres de Man Moulin , aus dem Regal, und wir studierten es gemeinsam, nachdem wir den ganzen Tag mit Mathematik zugebracht hatten. Ganz recht, von morgens bis abends Mathematik, Tag für Tag.
Immerhin muß ich ihm zugute halten, daß er weder schluckte noch aufstöhnte, als er das ganze Ausmaß meiner Unwissenheit und Inkompetenz erkannte. Er hielt sich an seine eigenen Überzeugungen und fing noch einmal ganz von vorn an. Und er brachte mir Dinge bei, die ich bis dahin nie wirklich verstanden hatte: zum Beispiel das Gleichheitszeichen.
Natürlich wußte ich, was unter 2 + 2 = 4 zu verstehen war. Doch selbst von den einfachsten Möglichkeiten, die sich daraus ergaben , hatte ich keinen blassen Schimmer. Allein der Gedanke, daß ein Gleichheitszeichen einer Waage ähnelte, hatte sich nie in meinen Schädel verirrt. Daß man folglich alles mit einer Gleichung anstellen konnte, sofern man es nur auf beiden Seiten machte, war wie eine Offenbarung für mich. Ungerührt von soviel himmelschreiender Ignoranz ging mein Vater zum nächsten Schritt über.
Die zweite Offenbarung war noch umwerfender als die erste.
Algebra.
Algebra, so erkannte ich plötzlich, ist nichts anderes, als was bereits Shakespeare gemacht hatte, nämlich Metonym und Metapher, Substitution, Transformation, Analogie und Allegorie, mit einem Wort: Dichtung. Bis dahin waren mir die a und b immer nur wie (man verzeihe mir das Paradox) fruchtlose Äpfel und Bananen vorgekommen.
Plötzlich hatte ich mit Simultangleichungen keinerlei Schwierigkeiten.
Mit Feuereifer stürzte ich mich auf quadratische Gleichungen, weil es dafür eine Formel gab. Aber mein Vater hielt nichts davon, daß ich irgendwelche Formeln paukte. Jeder Idiot konnte sich eine Formel merken. Ihm ging es darum, daß ich das Warum verstand. Also zurück zu den Griechen, zu Pythagoras und Euklid.
Verdammte Scheiße. Geometrie. Ich haßte Geometrie.
Er beschloß, daß wir unter Absehung jeglicher Vorkenntnisse beweisen würden, daß in einem rechtwinkligen Dreieck das Quadrat über der Hypotenuse flächengleich der Summe der Quadrate über den beiden Katheten ist.
Beweisen?
Wie sollte man so etwas beweisen können? Allein der Gedanke erschien mir völlig abwegig. Ich schlug vor, den ganzen Tag über verschieden große rechtwinklige Dreiecke zu zeichnen und nachzumessen. Wenn sie das Theorem bestätigten, könnte ich gut damit leben.
Gepfiffen.
An den genauen Beweisgang kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich weiß noch, daß er alle möglichen Kreise, Segmente, Sektoren und Winkel, die vorübergehend den Wert Theta erhielten, beinhaltete. Ich erinnere mich auch noch daran, daß wir den Beweis schafften und ich sämtlichen Schritten folgen konnte, und an das euphorische Glücksgefühl, als mein Vater das triumphierende q.e.d.! unten auf die Seite schrieb.
Weiter ging’s mit Trigonometrie und einer Reihe schwindelerregender Lehrsätze über sin A und cos A, die beide irgendwelchen Dingen entsprachen, allerdings auch erst auf dem A-Level-Lehrplan für reine Mathematik standen und nichts mit dem Grundlagenwissen der O-Levels zu tun hatten.
Ich kann nicht behaupten, mein Vater habe einen Mathematiker aus mir gemacht. Ich radebreche in der Sprache derMathematik nach wie vor wie ein Schuljunge mit greulichem
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