Computer der Unsterblichkeit
er bereits beschlossen hatte.
Und über allem lagen Bestürzung, Sehnsucht und Einsamkeit.
Während Kennedy noch auf Joes Antwort wartete, richteten sich dessen Augen plötzlich auf die Tür. Auch Mable hob den Kopf und schaute in die gleiche Richtung.
Erst Sekunden später klopfte es, und dann steckte Chefarzt Jones seinen Kopf durch den Spalt, ohne auf die Aufforderung zu warten. Sein Gesicht war unglücklich.
»Draußen am Tor sind Soldaten«, sagte er mit bebender Stimme. »Sie sagen, daß sie sich mit Gewalt Eintritt verschaffen werden, wenn wir sie nicht hereinlassen. Sie wollen Bossy beschlagnahmen.«
20
Joe hatte eben die Nachttischlampe ausgeschaltet und den Kopf auf sein Kissen zurücksinken lassen, als die Warnung zu ihm kam. Sie war so klar und deutlich wie das Läuten einer Glocke.
Er schwang die Füße aus dem Bett und tastete im Dunkeln nach seinen Kleidern. Jemand schlich durch den Korridor und gab sich große Mühe, unbemerkt zu bleiben. Es war diese intensive Konzentration, die Joe telepathisch aufgenommen hatte.
Einen Augenblick später wußte Joe, daß Doc Carney unterwegs war und daß er zu Bossy gelangen wollte.
Bossy. Das war für den alten Mann ein Ding der Unmöglichkeit. Bossy war von der Regierung beschlagnahmt, und vor dem Hörsaal hielten Soldaten Wache. Sie standen schon seit dem frühen Morgen dort und wurden alle zwei Stunden abgelöst.
Das Militär hatte seinen Brückenkopf errichtet, aber die Hauptstreitmacht war noch nicht aufmarschiert. Bossys Beschlagnahme durch ein kleines Kontingent war eigentlich nur ein Spähtruppunternehmen. Die Kräfte der gegnerischen Partei waren noch nicht ermittelt.
Ober Kennedys Machtmittel war man im Pentagon nicht besorgt. Seine Anwälte waren bereits beim Bundesgerichtshof vorstellig geworden, um die Beschlagnahme durch das Erwirken einer einstweiligen Verfügung aufzuheben, aber damit hatte man gerechnet. Der stärkste mögliche Gegner, der sich noch nicht erklärt hatte, war die öffentliche Meinung. Das Pentagon hatte seinen Stoßtrupp losgeschickt, um das feindliche Feuer auf sich zu ziehen, und nun wartete es ab.
So sah die Lage aus, und ausgerechnet jetzt schlich Carney auf Zehenspitzen durch den Korridor, eine Tasche mit Einbruchswerkzeugen in der Hand, und versuchte zu Bossy vorzudringen. Seine Absicht war Joe klar.
Seit Mable sich der Therapie unterzogen hatte, war Carney ein einsamer und verlorener Mann. Zum erstenmal in seinem Leben mußte er erfahren, was es heißt, völlig allein zu sein. In seinem alten Quartier gab es für ihn keine richtige Kumpanei mehr, und Mable, seine Gefährtin und sein Bindeglied zur alten Lebensweise, war im buchstäblichen Sinne des Wortes nicht mehr die alte; sie hatte sich zu einer vollkommen neuen und fremden Person gewandelt. Entgegen dem allgemeinen Klatsch hatte es zwischen ihnen nie etwas wie Liebe gegeben. Sie waren einfach zwei alte Menschen gewesen, die das gleiche Leben geführt und daher zusammengehalten hatten.
Das alles war jetzt anders geworden. Seine ganze Welt hatte sich verändert. Selbst seine Abneigung gegen die Eierköpfe, die auch mit Furcht gepaart war, hatte eine Wandlung durchgemacht. Auch sie waren bloß Leute, die das Beste aus ihrer Lage machten und sich nach ihren Möglichkeiten durchschlugen. So etwa hatte sich sein Denken entwickelt, seit Joe ihn überredet hatte, das alte Quartier zu verlassen und in die Margaret-Kennedy-Klinik überzusiedeln. Er begriff nicht, warum Joe solchen Wert darauf gelegt hatte; schließlich wußte er gut genug, daß niemand ihn hier brauchte.
Er war verwirrt, entwurzelt und einsam, er wußte nicht mehr aus noch ein. Er war, ohne es zu wissen, für Bossy bereit. Und Bossy zog ihn wie ein Magnet an. Er suchte Mable, und der einzige Weg, der ihn zu ihr führen konnte, ging über Bossy. Die Leute redeten immer über die Unsterblichkeit, die Bossy einem geben könnte, aber das war es nicht, was er wollte. Er wollte einfach wissen und verstehen und Verständnis finden.
Das Schloß vor der Tür erweckte alte Empfindungen in ihm zu neuem Leben. Das Schloß war ein Symbol seiner Existenz. Er war immer entweder ausgesperrt oder eingesperrt gewesen. Immer hatte es ein Schloß zwischen ihm und dem Ding gegeben, das er wollte. Ein Schloß war eine Herausforderung; eine Herausforderung, der er nicht widerstehen konnte. Zuvor hatte er unentschlossen geschwankt, denn er wußte recht gut, daß es nicht mehr so sein würde, wie es gewesen war,
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