Conan der Befreier
mühsam erklommen hatten. Allein stand er in der allesumhüllenden Dunkelheit des Brocellianischen Forstes und lauschte vergebens nach leisen Schritten. Er blies die Pfeife, und wieder, wie schon einmal, wartete er geduldig unter einem alten Baum. Er war sehr erleichtert, daß wieder Zudik seinem Ruf Folge leistete. Auf seine Frage antwortete der Häuptling der Satyrn:
»Ja, wir benutzen Pfeifen. Lasse deine Männer Ohren stopfen!«
»Unsere Ohren verstopfen?« wunderte sich der Cimmerier.
»Ja. Nehmt Bienenwachs, Stoff, Lehm – damit nicht hören. Dann wir euch helfen können.«
Numitors Grenzer kampierten in Halbmondformation quer über die Straße nach Tarantia. Der Prinz hatte sich ganz offensichtlich auf die Verteidigung eingerichtet, bis Graf Ulric kam. Seine Männer hoben Gräben aus und schützten sie mit einer Art Palisade. Wegen des dichten Baumbestands konnten die Rebellen die langen Reihen der Königstreuen nicht umgehen.
So lautlos wie möglich zerstreute die Befreiungsarmee sich vor dem Halbmond und verbarg sich zwischen und hinter dem allgegenwärtigen Buschwerk. Aber als ein Feindposten eine Bewegung zwischen dem Unterholz bemerkte, schlug er Alarm. Numitors Männer ließen ihre Spaten fallen, griffen nach ihren Waffen und gingen in Stellung.
Conan winkte seinen Adjutanten zu, die sich, wie alle anderen, die Ohren verstopft hatten, und bedeutete ihnen, den Bogenschützen das Signal zum Beschuß zu geben. Gleich darauf zerriß das Singen der Sehnen und das Schwirren der Pfeile die Luft. Aber Conans Leute hörten nichts.
Die königlichen Verteidiger dagegen vernahmen einen schrecklichen Laut, der ihnen schier das Blut in den Adern stocken ließ – ein schrilles, auf und ab klingendes, unirdisches Pfeifen war es. Es drang aus dem Nichts überall hin. Die Männer hatten das scheußliche Gefühl, als schmerze sie jeder einzelne Zahn, und es versetzte sie in eine seltsame, unverständliche Panik. Numitors Soldaten ließen ihre Waffen fallen und preßten die Hände an den Kopf, der ihnen zu bersten drohte. Einige brachen in hysterisches Gelächter aus, andere in unstillbares Schluchzen.
Je näher das Pfeifen kam, desto schlimmer wurde das Gefühl des unabwendbaren Verhängnisses, bis es schließlich ihre Seelen überflutete. Der Drang davonzulaufen, den sie anfangs mannhaft unterdrückt hatten, gewann die Oberhand über ihre langjährige Disziplin und Kampferfahrung. Hier und da sprang ein Soldat von seiner Stellung in den vorderen Linien auf und rannte, wie ein Besessener schreiend, zurück zur Reserve. Immer mehr taten es ihnen gleich, bis die vordersten Linien sich zu einer heulenden Masse panikerfüllter Flüchtlinge auflöste, die selbst nicht wußten, wovor sie überhaupt flohen. Als auch die Flanken nicht mehr besetzt waren, bewegten sich die unsichtbaren Pfeifer dem Zentrum zu, bis auch das sich auflöste. Troceros Kavallerie verfolgte jetzt die Fliehenden, tötete einige und nahm andere gefangen.
»Jedenfalls«, sagte Conan erfreut, als er das verlassene Lager der Königstreuen betrachtete, »haben sie uns genug Ausrüstung zurückgelassen, daß wir noch einmal so viele Männer rekrutieren können, wie wir schon sind.«
»Das war ein leichter Sieg!« freute sich Prospero.
»Zu leicht«, erwiderte Conan grimmig. »Ein leichter Sieg ist häufig so falsch wie das Lächeln eines Höflings. Ich werde erst sagen, daß der Weg nach Tarantia frei ist, wenn ich die Stadtmauern vor mir sehe, aber nicht eher.«
11. Der Schlüssel zur Stadt
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DER SCHLÜSSEL ZUR STADT
Die Befreiungsarmee marschierte ohne aufgehalten zu werden durch das freundliche Land, wo Poitains große Herden edler Pferde und fleischiger Rinder auf den saftigen Weiden grasten, und wo prächtige Burgen ihre zinnenbewehrten Türme rot, purpurn und golden in den Himmel streckten. Die Rebellenarmee folgte den Serpentinenwegen über Bergkuppen mit saftigem Grün, und erreichte schließlich die Grenze zwischen Poitain und den Zentralprovinzen von Aquilonien.
Aber während Conan hoch zu Roß auf einer Böschung saß und seine Soldaten vorbeireiten und -marschieren ließ, war seine Miene ernst, ja düster. Denn obgleich Numitors Grenzer wie Laub im Herbstwind verstreut waren, griff ein neuer Feind seine Armee an, gegen den er sich nicht wehren konnte. Eine Krankheit war es, eine Seuche, die scharlachrote Flecken hervorrief, verbunden mit Schüttelfrost und Fieber. Sie breitete sich immer schneller aus, und mehr
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