Coq 11
Ereignisse erhoben wurde.
Doch der neue Präsident Putin zog noch weiter reichende Konsequenzen. Eine bestand darin, die Stärke des neuen Russlands auf militärische Macht zu gründen. Und hierbei wollte man nicht wie früher auf Quantität setzen. Zum Beispiel auf unzählige Panzer, die den Feind in Westeuropa buchstäblich hätten überrollen können. Im Gegenteil: Die überlegene Technologie, über die bereits die Kursk verfügt hatte, sollte weiterentwickelt werden. Die Gehälter in der Flotte wurden um zwanzig Prozent erhöht, alle noch ausstehenden Gehälter wurden ausgezahlt. Und die Angehörigen der Kursk-Besatzung bekamen zwischen fünfundzwanzig- und dreißigtausend Dollar als Entschädigung – für russische Verhältnisse unermessliche Summen.
Russland wollte die amerikanische Vormacht auf den Weltmeeren in Frage stellen. Natürlich nicht durch direkte Konfrontation, sondern indem man – gegen gute Bezahlung – russische militärische Technologie an die Feinde der USA verkaufte.
Die Familie Jelzin wurde von Putin schnell kaltgestellt. Allein der Umstand, dass die gesamte alte KGB-Garde im neu gebildeten FSB (eine russische Übersetzung von »FBI«) Putin vergötterte, führte dazu, dass Jelzin sich mit den Dollarmilliarden begnügen musste, die er bereits ergaunert hatte. Im Grunde musste er seinem Schoßhündchen sogar dankbar sein, dass er weder seine Freiheit noch sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit einbüßte.
Nachdem Putin, wie viele Russen es mit Fug und Recht empfanden, die Besatzung der Kursk im Stich gelassen hatte, sackten seine Sympathiewerte zwar in den Keller, doch auch hiergegen fand er schnell ein Mittel. Vor allem dehnte er die staatliche Kontrolle über das Fernsehen aus. Während des Präsidentschaftswahlkampfes 2004 trat er in den Videoclips von bekannten Rockstars auf, führte seine Kunstfertigkeit auf der Judomatte vor und zeigte Bilder von sich beim Telefonieren mit dem neuen, harmlosen und leicht dämlichen amerikanischen Präsidenten, George W. Bush. Er erhielt 72,2 Prozent der Stimmen. Seitdem hatte er Russland mit eisernem Griff unter Kontrolle.
Die erfundene Geschichte vom explodierten altertümlichen Torpedo entwickelte sich zur international gültigen Version dessen, was in Wahrheit Russlands 11. September gewesen war. Im Übrigen passte diese Theorie gut zu der Vorstellung, Russland stünde im Allgemeinen und ganz besonders als militärische Macht vor dem Zerfall.
Doch in der internationalen Bruderschaft sub rosae (»Unter der Schweigerose«), das heißt in allen Nachrichtendiensten der Welt, wurde die wahre Geschichte der Kursk bereits einige Monate nach der Katastrophe in der Barentssee im August 2000 bekannt.
Für Geheimdienstler lagen einige Schlussfolgerungen auf der Hand. Russland verfügte über ein enormes militärtechnologisches Potenzial. Und im Hinblick auf U-Boot-Technologie erarbeitete sich Russland gerade einen beachtlichen Vorsprung. Was einige Jahre zuvor als Zufall oder pures Glück betrachtet worden war, nämlich dass es einem russischen U-Boot der gigantischen Anteus-Klasse, möglicherweise der Kursk selbst, gelungen war, sich durch die streng überwachte Straße von Gibraltar ins Mittelmeer zu schleichen, war vielleicht gar kein Glück gewesen. Die Russen waren den Amerikanern in der U-Boot-Technologie vielleicht wirklich überlegen. Das war neu.
Gewiss hatten sich russische Flugzeuge und gewisse Teile der sowjetischen Marine ebenso wie die Raumfahrt oft mit der westlichen Konkurrenz messen, sie hin und wieder sogar übertreffen können. Aber die Sowjetunion hatte sich stets selbst ausgebremst, indem ihre militärische Führung den Zweiten Weltkrieg noch einmal vorbereitet hatte und überzeugt davon gewesen war, dass das Heil in einer schieren wenngleich überwältigenden quantitativen Überlegenheit zu suchen sei. Man hätte hunderttausend Panzer nach Berlin schicken können.
Nachdem jedoch das neue Russland die kostenintensive und außerdem vollkommen aussichtslose Strategie der quantitativen Überlegenheit aufgegeben hatte, um stattdessen auf hoch entwickelte Forschung zu setzen, veränderte sich die Lage. Man hatte die russische U-Boot-Technologie unterschätzt. Sogar einem so gigantischen Fahrzeug wie der Kursk war es zu seinem eigenen Unglück gelungen, zwei amerikanische Jagd-U-Boote in die Irre zu führen. Und zwar so weit, dass der Kapitän der USS Memphis, dessen Namen wir nicht kennen, die Nerven
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