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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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„Das sagt mein Vater.“
    Ich grinste wieder. Der Junge war zu viel mit Erwachsenen zusammen. „Gibt es außer dir keine Kinder hier?“
    Jacques‘ Wangenknochen traten hervor. „Ich bin fünfzehn Jahre alt“, presste er zwischen den Zähnen hindurch. „Und kein Kind.“
    Er ließ mich einfach stehen und stapfte davon.
    „Jacques!“, rief ich ihm nach. „So war das doch nicht gemeint.“ Aber er war schon hinter der Kirche verschwunden. Ich schüttelte den Kopf. Gott war ich froh, dass meine Pubertät schon lange vorbei war.
    Langsam ging ich ihm nach. Die Schatten wurden länger. Ich sah auf meine Uhr und schüttelte mein Handgelenk. Die Zeiger rührten sich nicht. Sie hatte wohl endgültig den Geist aufgegeben.
    Die Kapelle stand unscheinbar zwischen zwei uralten Linden. Ein schlichtes Gebäude aus weißem Stein. Nur an dem kleinen Glockenturm konnte man erkennen, dass es sich um eine Kirche handelte. Die Scheiben waren schmutzig, die Eingangstür hing schief in den Angeln. Die Dorfbewohner waren wohl keine Kirchgänger. Ich machte einen Schritt über die verwilderte Blumenrabatte und drücke die Klinke hinunter. Die Tür klemmte und ließ sich nicht öffnen. Ich stützte mich an der Wand ab und zog fester an der Holztür. Sie gab einen Spaltbreit nach. Ein leicht modriger Geruch strömte aus den Ritzen. Als kokelte im Inneren etwas. Kerzen? Ich drückte mein Gesicht an die Wand und versuchte hineinzuspähen. Ein umgefallener Stuhl, daneben eine Stoffpuppe. Gab es doch Kinder im Dorf? Chloé hatte keine erwähnt, aber vielleicht schienen sie ihr zu unwichtig. Ein Glockenschlag dröhnte und ich schrie erschrocken auf. Mein Herz hämmerte.
    Wir sollten nach Hause gehen, schoss es mir durch den Kopf. Nach Hause? Ich schloss die Augen und versuchte ein Bild heraufzubeschwören. Alles, was ich sah, war Agnès‘ Gesicht; die kleinen Lachfalten in den Augenwinkeln. In meinem Magen breitete sich Wärme aus. Und doch war da ein Gefühl, das ich nicht benennen konnte. Etwas stimmte nicht. Wie lange war ich schon hier?
    Chloés Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Sie trällerte ein Lied, während sie einen großen Weidenkorb über den Hof schleppte. Als sie mich sah, hielt sie kurz inne und winkte mir zu.
    „Frische Pilze!“, rief sie. „Komm nicht zu spät zum Abendessen!“
    Ich hob die Hand und nickte, doch sie hatte mir schon den Rücken zugekehrt und verschwand im Gasthaus.
    Ich hörte sie noch singen, als die Tür ins Schloss fiel, und lachte. Das war zu dumm von mir. Alles war wie immer. Ich beeilte mich, ich wollte doch noch vor dem Essen Jean-Claude und Marie besuchen.
    Neben dem Zaun lagen Werkzeuge, doch Jacques war nirgends zu entdecken. Ich klopfte an die Tür. Eine Katze funkelte mich vom Treppengeländer aus an. Ihre Augen glitzerten unnatürlich und starr. Ich machte einen Schritt auf sie zu und erkannte, dass sie ausgestopft war. Ein Schaudern lief durch meinen Körper. Ich mochte keine präparierten Tiere. Es war mir unverständlich, warum jemand sein totes Haustier auf diese Weise ausstellte.
    „Komm herein“, hörte ich eine brüchige Stimme rufen. „Möchtest du Tee?“
    Offenbar verwechselte sie mich mit Jacques oder jemand anderem, der erwartet wurde.
    Ich öffnete die Tür. „Entschuldigen Sie, mein Name ist Catrin.“
    „Lass doch nicht den Wind ins Haus! Schnell, mach die Tür zu, du dummes Ding!“ Eine uralte Frau humpelte auf einen Stock gestützt die Treppe hinunter. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen. „Nun komm schon, das Wasser kocht.“
    Im Hausflur standen noch mehr ausgestopfte Katzen und funkelten mich mit ihren toten Augen an. Zögerlich folgte ich der Alten in den Keller. Es roch nach Heidelbeeren und Staub. Doch unter den Gerüchen lag etwas Frisches, als stieg ich nicht unter die Erde, sondern nach draußen.
    Der Kellerraum war eingerichtet wie eine Wohnküche. Eine Feuerstelle, auf der in einem Kessel Blaubeeren blubberten. Der Dampf legte sich schwer auf die Möbel. Ein Tisch, zwei Stühle. In der Ecke ein abgewetzter Ohrensessel und ein Fußschemel. Große Bunde Zwiebeln hingen zum Trocknen an den Deckenbalken.
    Ein riesiges Gemälde bedeckte fast die gesamte hintere Wand. Ich ging einige Schritte darauf zu, um das Motiv besser sehen zu können. Ein Tunnel, dunkel und feucht. Am Ende schimmerte der Ausgang. Sträucher waren zu erkennen und es schien, als wiegten sich ihre Zweige im Wind. Es war Frühling am Ende des Tunnels. Ich streckte die Hand nach der

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