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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Leinwand aus.
    „Beginne keinen Weg, wenn du nicht bereit bist ihn bis zum Ende zu gehen.“
    Erst jetzt betrachtete ich die alte Frau genauer, die Tee aufgegossen und den Tisch gedeckt hatte. Man sah ihrer Haut an, dass sie nicht oft nach draußen ging. Unter den Augen lagen dunkle Schatten. Sie sah müde aus.
    „Was haben Sie gesagt?“, fragte ich nach.
    „Der Zucker ist alle.“ Umständlich setzte sie sich und klopfte mit ihrem Stock auf den Boden. „Also, Kind, was möchtest du erzählen?“
    Ich sah sie verständnislos an. Sie musste mich verwechseln.
    „Ich verstehe nicht …“
    „Papperlapapp! Los, los, gieß den Tee ein, bevor er bitter wird.“
    Mit einem Kopfschütteln schenkte ich den Tee in zwei Becher. Die alte Frau hielt den Knauf ihres Stockes umklammert und sah mich aus zusammengekniffenen Augen an.
    „Sie müssen Marie sein“, sagte ich und rückte meinen Stuhl zurecht. Ich fühlte mich nicht wohl unter ihren bohrenden Blicken.
    „Marie, Marie, die alte Marie“, summte sie vor sich hin. „Ein Teil von mir ist ich, ein anderer sie.“
    Ich nippte an meinem Tee und verbrannte mir die Zunge. Das Getränk schmeckte bitter, wärmte aber meine klammen Finger, die ich um die Tasse verschränkt hatte.
    „Ja, so nennen sie mich.“ Marie klopfte mit ihrem Stock auf den Boden. „Du bist mager, Kind … Aber groß geworden“, fügte sie leise hinzu.
    Ich zog die Brauen nach oben. „Sie verwechseln mich“, sagte ich. „Ich bin Catrin. Und ich bin erst“, ich überlegte, doch meine Gedanken standen still, wie meine Armbanduhr, „seit kurzer Zeit hier.“
    „Zeit ist ein Blatt im Wind, ein lachendes Kind, ein Herz in der Hand, …“
    „Ein Bild an der Wand“, vollendete ich den Spruch ohne darüber nachgedacht zu haben. Großmutter, schoss es mir durch den Kopf. Genau das Gleiche hatte sie immer gesagt, wenn ich zu ungeduldig gewesen war, auf meinem Stuhl gezappelt, oder sie mit Fragen gelöchert hatte, weil ich das Ende einer Geschichte nicht abwarten konnte. Ich hatte den Spruch völlig vergessen gehabt. Meine Augen brannten und ich schluckte trocken. Ich wollte auf keinen Fall weinen. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte mich nicht an Großmutters Gesicht erinnern. Und dabei hatte ich sie über alles geliebt.
    „Sie hatte schmale Hände“, begann ich. „Und sie trug immer diese komischen Hüte. Sommer wie Winter. Meiner Mutter war das peinlich … Ich liebte den Dachboden von Großmutters Haus. Wie oft ich auch schon in den Kartons und Koffern gestöbert hatte, ich fand immer Neues. Aufregendes. Fremdes und Wunderschönes.“
    Mein Tee war nur noch lauwarm und ich trank den Becher in einem Zug leer. Und plötzlich sah ich Großmutters Gesicht vor mir. Ihre hellen Augen, die im Schatten einer breiten Krempe lagen. Und ihr schiefes Lächeln.
    „Sie war die gütigste Frau, die mir je begegnet ist.“
    „Du bist ihr sehr ähnlich“, flüsterte Marie.
    „Das hat Mama auch immer gesagt, wenn ich wieder einmal etwas Verrücktes angestellt hatte.“ Ich sah der Alten ins Gesicht. „Woher wussten Sie …“
    Sie winkte ab und erhob sich ächzend von ihrem Stuhl. „Geh jetzt, es ist Zeit. Ich bin müde.“ Sie schlurfte die Treppe hinauf und ließ mich einfach alleine. „Und vergiss nicht, die Tür zu schließen!“, rief sie von oben zu mir herunter. „Sie sind ja so vergesslich, die jungen Dinger“, hörte ich sie noch brabbeln, und machte mich auf den Weg ins Gasthaus. Hoffentlich wartete Chloé nicht schon auf mich.

    Es wurde bereits dunkel, als ich über den Dorfplatz eilte. Die Sonne sank hinter der Gaststätte und warf lange Schatten auf die Erde. Ein kühler Wind trieb die Wolken über den Himmel. Wie im Zeitraffer veränderten sie ihre Form.
    Am Brunnen hielt ich inne. Es war sicher bald Zeit zum Abendessen. Ich sollte Chloé bei den Vorbereitungen helfen. Und Lizzie hatte ich auch seit dem Vormittag nicht mehr gesehen. Ich warf einen flüchtigen Blick zu Agnès‘ Haus. Durch das Fenster konnte ich flackernden Feuerschein sehen. Ich atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen. Es roch nach Regen. Veränderung lag in der Luft. Ich glaubte zu wissen, was ich tun sollte, aber was ich tun wollte, war etwas ganz anderes. Ich wollte in Agnès‘ Bilder eintauchen, wollte mich in der Dunkelheit verlieren.
    Ich ging einige Schritte auf ihr Haus zu und sie öffnete die Tür. Ihre Silhouette hob sich wie ein Schatten vor dem erhellten Hintergrund ab. Ich

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