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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Die Ähnlichkeit des Angebots zu dem des Aloisiushauses konnte mich damals nicht erschrecken. Das Aloisiushaus hatte ich längst vergessen.
          Während er das Buch in der Hand gehalten hatte, als er es auf den Tisch gelegt hatte, wollte ich unbedingt den Titel wissen. Nachdem er es mir gegeben und zu seinem langen Monolog angesetzt hatte, habe ich nicht einmal draufgeschaut.
          »Ich muss allmählich wieder ins Bett. Die Erkältung auskurieren.«
          Völlig verwirrt stand ich auf. »Danke.« Zum ersten Mal seit langer Zeit wollte ich ihn in den Arm nehmen. Jedoch kam ich nicht dazu, so zielstrebig ging er in Richtung Flur. Ich folgte ihm, ließ mir meinen Mantel reichen, zog ihn an.
          »Hast du noch Geld?« Er wartete keine Antwort ab, sondern zog ein paar Scheine aus seinem Portemonnaie, die er mir in die Hand drückte. »Das reicht für die Bahnfahrt und die ersten Tage in Hamburg.«
          »Danke, aber deshalb …« Geld und Buch klemmte ich in eine Seitentasche des Rucksacks. Weder zählte ich das Geld, noch sah ich nach dem Titel des Buches.
          »Schreib mir deine Adresse, damit ich dir Postanweisungen schicken kann.«
          »Ja …« Ich hob den Rucksack an, schnallte ihn auf den Rücken, drehte mich noch einmal zu meinem Vater um. Jetzt wäre ein guter Moment gewesen, ihn in den Arm zu nehmen.
          »Sei mir nicht böse. Ich habe mich über deinen Besuch gefreut. Auch wenn der Anlass eher unerfreulich war. Aber jetzt muss ich ins Bett zurück.«
          Chance verpasst. »In Ordnung.«
          Mein Vater reichte mir die Hand. »Leb wohl mein Junge«, ich drückte seine und sagte noch einmal danke.
          Immer noch verwirrt drehte ich mich um. Ich hatte noch Zeit, bis der Bus kam.
          »Das Buch«, rief mein Vater mir hinterher, »habe ich dir gegeben, weil es einen Weg zeigt, der Veranlagung Herr zu werden. Die Kunst, ob nun bildnerisch oder belletristisch.«
          Ich winkte ihm noch einmal. »Danke.« Das einzige Wort, das mir in meiner Sprachlosigkeit erhalten geblieben war.
          
          Verwirrt ging ich zur Bushaltestelle. »Grüß Gott Frau Finkenzeller, geht’s gut?«, »Pfürti Herr Wagner, was macht der Ferdinand?«, verwirrt setzte ich mich auf die Bank beim Wartehäuschen und holte das Buch hervor. ›Tod in Venedig.‹ Ein schmuckloser dünner Band, der nichts über den Inhalt verriet. Erst später würde ich erfahren, dass mein Vater mit seiner Aussage darüber nicht die Intention des Autors getroffen hat. An der Bushaltestelle sitzend wunderte ich mich, warum er das Büchlein in seinem Besitz hatte. Er war Lehrer, er musste viel lesen.
          Wo war Darius? Wollte ich jubeln, weil es voranging, wenigstens die nächsten Tage gesichert waren und ein fremdbestimmtes und vages Ziel mich wieder an die Zukunft glauben ließ, brauchte ich dafür nicht einen teilenden Freund? Ich hatte ihn in meiner Verzweiflung, wo war er in der Verwirrung?
          Wo war Darius?
          In Hamburg würde ich ihn nicht finden. Trotzdem würde ich der empfundenen Anordnung meines Vaters Folge leisten, auch, wenn sich Widerstand in mir regte.
          ›Vertuschen.‹ Ich wollte nicht vertuschen. Ich wollte nicht mehr rausgeschmissen werden, nicht ins Gefängnis, mich nicht verstecken müssen. Ich wollte nicht meiner Veranlagung Herr werden. Es musste einen anderen Weg geben.
          

8.
          
          »Du meinst, Fritz, die Erpressung, die Entlassung und der Rausschmiss durch die Bergmosers waren Teile eines mystischen Plans?«, frage ich in Darius’ Gedankenpause. »Das wäre mir nicht passiert, wären wir uns nicht begegnet?«
          Er sieht mich an, sieht auf seinen Teller, sieht wieder mich an, beißt sich auf die Lippe, wird ein bisschen rot.
          »Ja«, sagt er, senkt kurz seinen Kopf, als sammle er Kraft, meinem Blick wieder Stand zu halten. »Die Macht des Hauses reicht weit.«
          Obwohl ich immer noch satt bin, keine der Köstlichkeiten auf dem Buffet verdrücken könnte, muss ich aufstehen, mich Darius’ Blicken entziehen, die mal schuldbewusst nach unten, mal flehentlich in meine Richtung gehen. Ich schaue unter die Deckel der Töpfe und Platten, rieche die Petersilienbutter, in der die Kartoffeln geschwenkt wurden, den Rotwein in der Soße des Burgunderbratens, den karamellisierten Zucker über der Crème brulée.
          Ich drehe mich um, bleibe am Buffet stehen.

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