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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Mitternacht, Landshut, Bahnhof. Warten. Der Bus kam erst am Morgen.
          Im Bahnhof war es still und windgeschützt. Auf einer Bank konnte ich mich ausruhen, ohne von jemandem vertrieben zu werden, ohne in ein Haus eingeladen und versorgt zu werden. Es war kalt und ungemütlich wie an jedem Februarmorgen. Es war real, die Kälte störte mich, die Einsamkeit störte mich, der Verlust der Zukunft drückte mir auf die Seele, aber es waren meine Kälte, meine Einsamkeit und mein Verlust. Wo sollte ich hin? Die gleiche Frage, die ich mir seit Tagen stellte. Zu meiner Mutter. Erzählen, was passiert ist, auf Verständnis hoffen, auf Unterstützung. Nichts an meiner Situation hatte sich geändert. Doch plötzlich fühlte sie sich wirklich an.
          Wo war Darius?
          Eine Sehnsucht, die ich aufgegeben hatte, so laut hatte ich nein geschrien. Eine Sicherheit, die mich begleiten würde, so tief hatte ich ihn in mich aufgenommen. Ich würde ihn nicht suchen müssen, ich würde ihn finden. Irgendwann.
          
          Sechs Stunden warten für zwanzig Minuten Fahrt. Vermutlich wäre ich wandernd früher da gewesen, hätte meine Mutter mitten in der Nacht aus dem Bett geholt. Kurz hatte ich überlegt, als ich am Bahnhof fror. Doch ich mochte nicht mehr laufen, meine Füße taten weh.
          Um halb sieben fuhr der Bus. Der Schaffner nickte müde, als ich ihm meinen Fahrschein zeigte. Die meisten fuhren um diese Uhrzeit wohl in die andere Richtung, in die Stadt hinein, um zur Arbeit oder zur Schule zu gelangen.
          Der Bus war geheizt, die wohlige Wärme machte mich müde, aber die Fahrt war zu kurz, um die Augen zu schließen. Kaum fühlte ich mich wohl, musste ich aussteigen. Es war nicht weit zur Buchenstraße. Den Weg hätte ich auch im Schlaf gefunden. Ich freute mich auf meine Mutter, auf Theodore, auch wenn ich sie ja erst Weihnachten gesehen hatte. Trotzdem zögerte ich, ging langsam, überlegte, ob sie wohl schon wach waren, ob ich nicht besser bis mittags wartete. Käme ich so früh am Morgen, wüssten sie sofort, dass etwas nicht stimmte, überfielen mich mit Fragen, machten mir vielleicht die Vorwürfe, die ich mir selbst die ganze Zeit machte.
          Ich mir selbst? Waren es nicht die Heuschrecken und Schlangen, auf perfide Art auch der Wolpertinger gewesen?
          Die hatte ich vergessen. Die letzten Tage lagen im Nebel, als wäre ich fortwährend betrunken gewesen. Ich war hinausgeschmissen worden, erst beim Theater, dann von den Bergmosers, stand bei Darius vor der Tür und mir wurde von einer jungen Mutter erklärt, einen Mann dieses Namens gäbe es dort nicht.
          Eine gute Woche vergessen.
          Ich konnte nicht durch den Ort schleichen wie ein Dieb. Jeder kannte mich dort. Niemandem wollte ich begegnen, zu wenig Erklärungen für meine Anwesenheit. Die fielen auch später schwer genug, je nachdem wie lange ich bliebe.
          Noch konnte ich den Wenigen, die mir begegneten, freundlich zunicken, grüß Gott wünschen und zielstrebig flüchten. Natürlich waren meine Mutter und Theodore schon wach. Theodore musste zur Arbeit. Ich konnte sie ruhig erschrecken. Eine andere Wahl hatte ich nicht.
          »Wos machst ’n hia?« Sie hatte noch ihren Morgenrock an und Lockenwickler im Haar. Die Tür hielt sie nur einen Spaltbreit geöffnet. Ich hörte Theodor im Hintergrund seinen Mantel anziehen. Was sollte ich antworten? ›Euch besuchen‹, wäre nicht richtig gewesen, ›es ist etwas passiert‹ zu dramatisch.
          »Lässt du mich erstmal rein?«
          »Ja natürlich.«
          Von Freude, mich zu sehen, keine Spur. Sie zog die Tür auf und trat zu Seite, verfolgte meine Schritte. Ich grüßte Theodore, der mir kurz zunickte, als wäre ich jeden Tag hier, an mir vorbei ging und durch die geöffnete Tür verschwand.
          »Möcht’st oan Kaffee, hast oan Hunga?«
          »Gern.« Ich stellte den Rucksack mit meinen Sachen ab, hängte den Dufflecoat an die Garderobe und setzte mich auf die Eckbank an den groben Nussbaumtisch, auf dem die weiße Porzellankanne, Brot und Marmelade noch standen. Meine Mutter brachte eine frische Tasse, einen Teller und ein Messer und setzte sich auf einen Stuhl mir gegenüber. Ihr dunkles Haar roch nach Spray und glänzte über den Lockenwicklern feucht. Sie zog den Morgenmantel enger zu, als schämte sie sich oder fror. 
          »Hobn’s di nausg’schmissn?«
          Ich nickte,

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