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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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los.
    Chloé nickte. „Geh jetzt zu Bett“, sagte sie. „Es ist spät.“
    Ich schlüpfte in mein Kleid und nahm ihre Hand.
    „Ich … Es ist …“
    „Schon gut“, sagte sie. „Ich weiß.“
    Ich lief nach oben und blieb noch einen Moment vor der Tür stehen. Mein Atem ging schwer.
    „Cat? Catrin, bist du das?“, rief Lizzie aus dem Zimmer. Sie musste die knarzenden Stufen gehört haben.
    „Ja, ich bin’s nur!“ Ich trat ein und ließ mein Kleid achtlos auf den Boden neben dem Bett fallen. Lizzie hatte die Kerzen gelöscht und ich war froh, dass sie meine geröteten Wangen nicht sehen konnte.
    „Wo warst du denn so lange?“, fragte sie. „Ich wollte schon eine Suchmeldung aufgeben!“
    „Ach, ich habe Chloé noch beim Aufräumen geholfen“, sagte ich.
    „Jetzt mach endlich und komm ins Bett. Ich bin todmüde.“
    Ich schlüpfte unter die Decke und drehte mich mit einem gemurmelten „Gute Nacht“ auf die Seite und tat so, als sei ich gleich eingeschlafen.
    Der Regen prasselte ans Fenster. Gleichmäßig und beruhigend. Es war als flüsterte er meinen Namen. Catcatcat .

Kapitel 3

    D er Boden dampfte, als schwitze er alles Schlechte aus den Poren. Über den Kiefern und Moorbirken, die den Dorfplatz begrenzten, lugte die Sonne und hüllte die taubesetzten Heidelbeersträucher in ein eisiges Schimmern. Ich saugte die Luft tief in meine Lungen und schloss die Augen. Reiner Sauerstoff und Heideduft. Und mein Herzschlag, der den Grundrhythmus zum Klopfen eines Spechtes spielte.
    Ich nahm eine Bewegung wahr und öffnete die Lider. Die Sonne blendete mich und ich schirmte meine Augen mit der Hand ab.
    Am Brunnen erkannte ich die Frau, die in dem kleinen Holzhaus wohnte. Sie hievte einen Eimer nach oben und stellte ihn mit einem Ruck auf dem Brunnenrand ab.
    Ich zog meine Schuhe aus, ließ sie vor der Eingangstür der Gaststätte stehen und schlenderte über den Hof. Der feuchte Boden quoll zwischen meinen Zehen hindurch. Als ich die Frau fast erreicht hatte, zischte ein Holzscheit an meinem Kopf vorbei und prallte so hart gegen den Brunnen, dass es zersplitterte. Die Frau zuckte zusammen und der Eimer fiel mit einem Klatschen in die Tiefe zurück. Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Dann wanderte ihr Blick über meine Schulter und das Blau ihrer Augen bewölkte sich.
    „Lass sie in Frieden, Princesse!“
    Ich drehte mich um und sah den großen, blonden Mann auf mich zu stapfen. Unter den Sohlen seiner schweren Stiefel stieb der Schmutz auseinander wie sturmgepeitschte Gischt. Ich trat instinktiv einen Schritt zurück. Er starrte die Frau mit finsterem Blick an und deutete auf das Holzhaus. Sie sah zum Brunnen, als überlegte sie, was sie eigentlich dort machte und wandte sich um.
    „Cavalier!“ Ein schmächtiger Junge rannte zwischen zwei Häusern hervor. Er blieb wie angewurzelt stehen, als er mich sah, fuchtelte dann aber aufgeregt mit den Armen. „Schnell, das Fohlen kommt!“
    Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Angesprochene um und lief zu dem Jungen. Sie verschwanden in der Gasse zwischen dem Gasthaus und einem kleineren Gebäude. Dort hinten musste sich also der Stall befinden. Ich stieß die Luft aus. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich den Atem angehalten hatte. Dieser Mann, den sie Cavalier nannten, war mir unheimlich. Ich rieb über meine Arme und blickte mich nach der Frau um. Sie ging langsam zu ihrem Haus zurück.
    Kurzentschlossen zog ich die Brunnenkette nach oben und trug ihr den vollen Wassereimer nach.
    „Warte!“, rief ich, doch sie ging unbeirrt weiter. Kurz vor der Haustür holte ich sie ein. Ich tippte ihr auf die Schulter, erst jetzt sah sie sich um.
    „Ich bin Catrin“, sagte ich und streckte ihr die Hand hin. „Ich wohne mit meiner Schwester in Chloés Gasthaus.“
    Sie folgte meinem Fingerzeig und musterte mich. Ihre Blicke glitten über meinen Körper und blieben an meinen Füßen hängen. Ich wackelte mit den schlammigen Zehen.
    Ich beobachtete ihre Gesichtszüge, doch ich konnte nichts herauslesen. Es war nicht zu erkennen, was sie dachte, aber es kam mir ganz natürlich vor, dass sie mich studierte, wie eine seltene Pflanze oder ein unbekanntes Tier. Wie ein Kunstwerk , schoss es mir durch den Kopf. Sie betrachtet mich wie ein Kunstwerk, sucht eine zweite Sinn- oder Gefühlsebene. Das war natürlich Blödsinn und ich musste über mich selbst grinsen. Ich war nur Catrin. Keine andere Bedeutungsebene, kein Schnickschnack. Nur Catrin. Und trotzdem

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