Crashkurs
heute, im September 2008, während ich an einem ganz anderen Kapitel arbeite, im Fernsehen einen von mir ansonsten sehr geschätzten Kollegen mit folgenden Worten: »Wer aber jetzt den Weg von 8000 auf 6000 mitgemacht hat, dem würde ich nicht empfehlen auszusteigen. (…) Es ist abzusehen, wann das Ende der Finanzkrise eingeläutet wird (…).« Ich dachte erst an ein Déjà-vu, aber es ist wohl so, dass selbst die Profis aus der Geschichte einfach nicht lernen.
Natürlich dürfen nicht alle Experten über einen Kamm geschoren werden. Nicht jeder versucht dem Zuschauer arglistig die Interessen seines Arbeitgebers zu verkaufen. Man muss da genau unterscheiden. Da sind zum einen natürlich die Experten der Banken, Versicherer und Fonds, die verkaufende Kunden mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser. Was glauben Sie, was ein Fondsmanager von seinem Arbeitgeber zu hören bekäme, wenn er im Fernsehen sagen würde: »Ich sehe in den nächsten Monaten große Risiken für den Aktienmarkt und empfehle Ihnen, Aktien und Fonds zu verkaufen.« Wahrscheinlich wäre das Nächste, was er hört, das Quietschen der Tür im Arbeitsamt. Banken, Versicherer und Fonds leben davon, Kapital einzusammeln und zu investieren. Wenn in größerem Maßstab Kapital abgezogen würde, wäre das schlecht fürs Geschäft und im schlimmsten Falle existenzbedrohend.
Manche Experten sind vor allem richtige Experten darin, die Interessen ihres Arbeitgebers in den Medien zu vertreten und dennoch nichts Falsches zu sagen. Ein Analyst sagte einmal in einem TV-Interview: »Ich sehe auf Sicht der nächsten drei bis vier Monate deutlich höhere Kurse!« Der Anleger sieht das und denkt: »Prima! Dann ist ja das Schlimmste vorbei, und ich kann wieder beruhigt kaufen.« Als ich den Analysten nach der Sendung auf diese Aussage anspreche und ihm heftig widerspreche, kommt die trockene Antwort: »Ja, ja, ich hab ja nur gesagt: auf Sicht der nächsten drei bis vier Monate. Danach erwarte auch ich einen drastischen Einbruch!« Schade, dass dieser Teil der Einschätzung beim Zuschauer nicht ankam, der nach der Sendung mit seinem Vermögen wieder in den Aktienmarkt eingestiegen ist.
Als Nächstes gibt es die »Experten«, die sich gar nicht die Mühe machen, sich ein eigenes Bild zu entwickeln. Die nehmen einfach die Meinungen der anderen »Experten« und machen sie zu ihrer eigenen. Ist ja auch bequem. Ein solcher Kommentator ist dann in guter Gesellschaft, steht mit seiner Meinung nicht gegen die der anderen, und man bestätigt sich gegenseitig, wie richtig man liegt. Die haben keine böse Absicht! Die wissen es einfach nicht besser, und wenn es alle sagen, wird’s schon stimmen.
Es gibt ohnehin nur wenige wirkliche »Meinungsmacher«. Diejenigen, die es schaffen, ihre Einschätzungen als Erste in die Nachrichtenagenturen zu bringen, entscheiden darüber, welche Meinung die Welt künftig über dieses oder jenes Geschehen hat. Die meisten »Experten« haben selbst gar nicht die Zeit, sich mit allen Themen im Detail auseinanderzusetzen. Also lesen sie die ersten Analysen und Einschätzungen von anderen, um sich ein Bild zu machen. In den meisten Fällen übernehmen sie diese Meinung ungeprüft. Vor der Fernsehkamera geben sie diese Einschätzung des ersten Analysten dann weiter, und so weiter und so weiter. Diejenigen, die den schnellsten Zugang zu den Medien haben und bei denen eventuell schon eine vorgefertigte Einschätzung zum jeweiligen Ereignis in der Schublade liegt – vielleicht sogar, weil sie mit diesem Ereignis zu tun haben –, besitzen eine ungeheure Macht über die öffentliche Meinung und Wahrnehmung. So gibt es in Deutschland sogenannte Thinktanks (Denkfabriken), die nichts anderes machen, als im Auftrag von finanziell starken Interessengruppen wie der Industrie Analysen zu erstellen und die öffentliche Meinung in deren Sinne zu beeinflussen. Sie geben den Journalisten eine vorgefertigte Analyse oder »Einschätzung«, noch bevor die Journalisten sich eine eigene Meinung gebildet haben. Da die Medien immer schneller reagieren müssen, haben die wenigsten Zeit, selbst ausführlich zu recherchieren. Also übernehmen sie die Analyse der Lobby dankbar und verbreiten diese als allgemeingültige Wahrheit. Noch einfacher wird das, wenn entscheidende Journalisten in diese »Lobbyarbeit« gleich mit eingebunden werden.
Schließlich gibt es noch die Experten, die nicht nur bereits ahnen, dass der Eisberg, auf den wir aufgelaufen sind, mehr als einen
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