Cristóbal
gestürzt?
Kehren wir zu dem beinahe kindlichen Genuesen zurück, der da steht, die Finger in seine kleine Wollmütze krallt und vor dem größten Kartographen Lissabons sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagert. Ich kann… ich kann… Wie sollte ich meinen Satz beenden, da ich nichts konnte?
«Ich kann… ich kann… klein schreiben.»
Dieser Einfall kam mir schlagartig. So wie einem zwischen zwei Wellen, kurz bevor man das Bewusstsein verliert, der rettende Fels erscheint. Plötzlich hatte ich mich an mein einziges Talent erinnert: Seit ich die Feder halten konnte, verstand ich mich darauf, ebenso akkurate wie winzige Buchstaben zu malen.
«Beweise es mir!»
Meister Andrea befahl, mir Tinte und eine Feder zu bringen. Er hob ein Stück Landkarte vom Boden auf, das man weggeworfen hatte, hielt es mir hin und kreuzte die Arme.
Ich hatte Ceuta und Algier noch nicht zu Ende geschrieben, da erhielt ich einen Klaps auf meine Schulter: Ich war eingestellt. Und sofort bekam ich eine Aufgabe übertragen: in Schönschrift die Namen einer winzigen Inselkette vor der Küste des Teils von Afrika zu schreiben, der Senegal heißt.
In den nächsten Tagen wuchs die Eifersucht meiner Kollegen. Sie füllte die Werkstatt, spürbar wie ein Sturm, kurz bevor er losbricht. Immerhin waren sie älter und tausendmal erfahrener als ich. Deshalb ertrugen sie es nicht, dass Meister Andrea, ihr Meister, immer wieder zu mir kam, um das Spiel meiner Finger zuverfolgen. Und vor allem nicht, dass er das Wort an mich richtete. So lange es her ist, ich erinnere mich Wort für Wort an unsere Gespräche:
«Wie kommt es, dass du so geschickt im Kleinen bist?»
«Weil ich schon immer so klein schreibe.»
«Genau das meine ich, warum hast du immer klein geschrieben?»
«Ich habe Angst.»
«Wovor hast du Angst?»
«Davor, dass die Dinge zu groß sind. Dass ich ihnen nicht gewachsen bin.»
«Warum wolltest du Karten zeichnen?»
«Weil Karten von der Kleinheit leben.»
«Was meinst du damit?»
«Karten sind klein, verglichen mit der Welt, die sie beschreiben. Eine Karte, die so groß wäre wie die Welt, würde nichts nützen.»
«Unbestreitbar. Weißt du, was Schnepfen sind?»
Auch bei diesem Thema gestand ich meine Unwissenheit. Meister Andrea schüttelte den Kopf.
«Bald werden sie deine treuesten Verbündeten sein.»
Ich sollte noch viele andere Merkwürdigkeiten der Welt entdecken. Diese zum Beispiel: Die Tätigkeit unseres Nachbarn machte großen Lärm. Um seinen Schläfen Ruhe zu gönnen, kam er oft in unsere Werkstatt und wunderte sich über die Stille. Während bei ihm halbnackte Männer tagaus, tagein damit zubrachten, den Blasebalg der Schmiede zu treten und auf Eisen- oder Bronzestücke zu hämmern, hörte man bei uns nur das leichte Kratzen der Federn auf dem Pergament.
Bei diesem leutseligen Mann, im ohrenbetäubenden Lärm seiner Schmiede, statteten sich die Kapitäne jedes Mal aus, bevor sie in See stachen. Sie kauften immer dasselbe: Kessel, Töpfe, Kannen und, in unglaublichen Mengen, Rasierbecken.
Ich wunderte mich: Welchen Nutzen hatten diese Becken? Wuchsen die Bärte auf See schneller und störrischer als an Land?
Er gab mir gerne Auskunft, nicht ohne über meine Ahnungslosigkeit zu spotten. Das weiß doch jeder, Bartolomeo: Die afrikanischen Häuptlinge, mit denen wir handeln, sind versessen auf solche Gefäße, vor allem auf Rasierbecken. Sie versuchen, sich in ihnen zu spiegeln, und glucksen dabei vor Vergnügen, sie stellen aus ihnen Hauben zum Schutz vor Fliegen her, sie legen sie auf die Gräber, um ihre Toten zu ehren. Weiß der Teufel, was in den Köpfen dieser Stämme vorgeht. Jedenfalls besitzen diese Gegenstände, die hier alltäglich sind, dort einen großen Wert, einen sehr viel beachtlicheren als andere Tauschgüter, wie Stoffe, Glasperlen oder Messingringe. Mit einem einzigen Rasierbecken kann man bis zu drei Sklaven oder fünfzig Gramm Gold erwerben!
Noch heute wundere ich mich über das seltsame Räderwerk des Handels, das Güter von einem Ende des Planeten zum anderen auf die Reise schickt. Warum liegt uns hier mehr an Gold und Sklaven? Und warum reißt man sich dort um Rasierbecken?
Was war damals mein prägender Charakterzug?
Schüchternheit war es nicht. Und dennoch war meine Schüchternheit krankhaft. Es brauchte mich nur jemand anzusprechen, sofort glänzte Schweiß auf meinen Schläfen und Handflächen. Zehnmal wäre ich während der ersten Wochen in
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