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Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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sich vor die Sonne geschoben. Ich hob den Kopf. Eine Gruppe Galgengesichter stand um mich herum. Ich hatte sie nicht kommen hören. Ich kenne diese Schwäche meines Körpers gut: Wenn ich lese, verschließen sich meine Ohren, ich werde taub. Dann bestehe ich nur noch aus zwei Augen, die gespannt den Zeilen folgen.
    Der wildeste Kerl richtete das Wort an mich in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich ahnte, was er wollte, und lehrte meineTaschen und meinen Quersack. Nicht schnell genug. Schon hagelte es Schläge. Und umso mehr, als sie feststellten, wie mager meine Habe war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich die
Ymago
fest in der Hand. Doch sie wurde mir ebenfalls entrissen. Diese Räuber glaubten wohl, dass darin ein paar Kostbarkeiten versteckt seien (womit sie sich nicht irrten). Im Handumdrehen hatten sie das Werk zerrupft, die Seiten eine nach der anderen herausgerissen, inspiziert und dann mit wachsender Wut einfach weggeworfen.
    Als es wieder Schläge setzte, verlor ich das Bewusstsein. Ich erinnere mich, dass eine gewisse Erleichterung meinen Sturz ins Nichts begleitete: Ganz offensichtlich waren diese Kerle, die keine Achtung vor Büchern hatten, keine konkurrierenden Kartographen. Als ich wieder zu mir kam, herrschte um mich herum dieselbe Stille wie zuvor.
    Zum Glück regnete es nicht. Und ich hatte noch mehr Glück: Denn es war auch windstill. Die Wegelagerer hatten sich davongemacht, die Natur holte Atem. Die Luft harrte der Dinge, die noch kommen sollten. Selbst die Vögel schienen am Himmel erstarrt zu sein.
    Und ich hatte ein drittes Mal Glück: Die Kuhherde weidete am anderen Ende des Feldes. Die Kühe hatten sich den Überfall nicht entgehen lassen wollen und waren näher gekommen. Was könnte abwechslungsreicher sein, wenn man sein Leben mit Wiederkäuen verbringt, als das Schauspiel einer Rauferei unter Menschen, selbst wenn nichts dabei herauskommt?
    Glücklicherweise hatte ein kleiner Bach die Kühe gehindert, noch näher heranzukommen. In ihren großen sabbernden Köpfen schwebte gewiss das Bedauern, dass sie ihre grüne Kost nicht mit den großen, weißen Blättern bereichern konnten: Diese sahen wie geschaffen dazu aus, gekaut zu werden. Woher sollte man es wissen? Diese Tiere sind so friedlich, dass sie ihre Gefühle selten zeigen. Ich denke, Kühe haben zumindest dies mit den Briten gemeinsam. Und diese scharfsinnige politische Idee gab mir den Mut, meine Aufgabe anzugehen.
    Wie viele Stunden benötigte ich, um die über die Wiese verstreuten Seiten eine nach der anderen einzusammeln? Als ich die letzten aufhob, war es finstere Nacht. So gut es ging, bündelte ich sie, schmiegte sie an meine Haut, knöpfte meine Kleider zu und streckte mich an einem Hang aus, wo ich auf der Stelle einschlief, gewiegt von der Dankbarkeit, die mir die
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entgegenzubringen schien.
    Bis Lissabon hat Gott mir weitere Unglücke erspart. In Seiner unendlichen Gnade wollte Er mich nur prüfen und vor den Gefahren warnen, die die Besitzer dieses entscheidenden Buches erwarteten.
    Wir erhielten einen weiteren Beweis, dass es Sein Wille war, dass die
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zu meinem Bruder gelangte, ganz offenbar der Mensch, dem Er die Aufgabe gegeben hatte, die sichtbare Welt zu erweitern.
    Auf einer der verstreuten Seiten hatte ich gerade noch den Namen Piccolomini lesen können, den Namen ebenjenes Mannes, dessen Werk
De duobus amantibus
wir unter Wert verkauft hatten. Dieser zukünftige Papst hatte sich nicht nur zu den Erregungszuständen verbotener Liebschaften vorgewagt, er hatte auch seine geographischen und kosmographischen Kenntnisse in einer Abhandlung versammelt, die unter Fachleuten anerkannt war: der
Historia rerum ubique gestarum.
    Den Autor dieses Werks erwähnte und kommentierte Pierre d’Ailly voller Hochachtung.
    Noch heute kehre ich in Gedanken immer wieder zu dem erfüllten Leben dieses Piccolomini zurück, und ich danke Gott, dass Er uns erlaubt, in einem Zeitalter zu leben, das so viele Persönlichkeiten dieser edlen und vielseitigen Art hervorgebracht hat.
    Die Bindung zwischen der
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und mir war inzwischen so eng geworden, dass es mir vorkam, als brächte ich kein Buch mit, sondern ein Familienmitglied, einen Ahnen, der zu gebrechlich war, um ohne Hilfe zu reisen, der jedoch über entscheidende Informationen aus jenen vergangenen Zeiten verfügte, in denen er gelebt hatte.
    Im Übrigen hatte ich die Gewohnheit angenommen, mit diesem Buch zu sprechen wie mit einem Reisegefährten, für den ich die

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