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Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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alles andere liegen zu lassen, um sich über das Buch herzumachen, wischte er meine Andeutungen mit dem Handrücken zur Seite.
    «Später, Bartolomeo! Ruh’ dich erst mal aus! Gefällt dir diese Landschaft nicht?»
    Und wieder kam er voller Entzücken auf seinen Sohn zu sprechen: «Sei ehrlich, was denkst du, Bartolomeo, hat er nicht alle Intelligenz der Welt in seinem Blick?»
    Dann dachte er wieder an seine geliebte, so sehr geliebte Filipa: Sie ist traurig, dass sie uns nicht begleiten kann, Bartolomeo; seit wir unsere Zweitgeborene im Alter von kaum einem Monat verloren haben, leidet sie unter plötzlichen Schwächeanfällen.
    Dann sprach er wieder über seine Pläne, in denen die Indienreise nicht mehr vorkam, zumindest nicht für die kommenden zwei bis drei Jahre, bis Diego älter sein würde. Sein Hauptanliegen bestand darin, das Familienwappen wieder zu vergolden, indem er Handel trieb, unter anderem mit Zucker, der auf der Nachbarinsel Madeira viel Geld einbrachte.
    Als ich bei der Rückkehr in mein Zimmer Senhora Moniz-Perestrello begegnete, verhehlte ich ihr nicht meine Verwunderung: Ich erkannte meinen Bruder nicht wieder.
    Sie hob die Arme zum Himmel.
    «Wem sagen Sie das! Ich hatte mir einen Eroberer zum Schwiegersohn gewählt. Ich habe einen Verwalter geerbt.»
    Ich fragte sie nach den Gründen für diese Wandlung. Sie erklärte mir, so traurig es für sie und mich sei, man müsse die Liebe dafür verantwortlich machen.
    «Ich verstehe Eure Verzweiflung, Bartolomeo, seht, wie ich mich ärgere und noch mehr wundere, aber meine Tochter ist Eures Bruders ganzes Glück.»
    Im weiteren Verlauf meines Aufenthalts bestätigte sich, was sie sagte.
    Am nächsten Tag zwang ich Cristóbal, sich hinzusetzen, und schaffte es endlich, ihm die
Ymago
zu zeigen.
    Incipit
Ymago mundi
    Ymago mundi seu eius ymaginaria descriptio Ipsum velut in materiali quodam speculo representans non parum utilis esse videtur divinarum elucidationem?
    Scriptuarum
    Das Bild von der Welt –
Anfang
    Anscheinend ist das Bild von der Welt, oder zumindest die Beschreibung, die man von der Welt geben kann, indem man sie wie in einem Spiegel abbildet, nicht ohne Nutzen für das Verständnis der Heiligen Schriften, die so oft verschiedene Gegenden von ihr erwähnen und besonders die bewohnbaren Teile der Erde.
    Deshalb habe ich es unternommen, diese Abhandlung zu schreiben und darin in gekürzter Form alles getreulich aufzunehmen, was ich bei den Gelehrten finden konnte, die über dieses Thema geschrieben haben.
    Diese Abhandlung umfasst vierzig Kapitel.
    Das erste Kapitel handelt von der Erde und ihren Teilen im Allgemeinen.
    Zweites Kapitel. – Von den Sphären und anderen bildlichen Darstellungen am Himmel.
    Drittes Kapitel. – Vom Lauf der Sonne, den Jahren und den Tagen, die er bildet.
    Viertes Kapitel. – Von den vier Elementen und ihrer Verteilung auf der Welt.
    Fünftes Kapitel. – Von der Größe der Erde und ihren Abmessungen.
    Sechstes Kapitel. – Von der Aufteilung der gesamten Erde.
    Siebtes Kapitel. – Von den verschiedenen Ansichten über die Bewohnbarkeit der Erde.
    Achtes Kapitel. – Von der Größe der bewohnbaren Erde.
    Neuntes Kapitel. – Von den verschiedenen Breitengürteln der bewohnbaren Erde nach den Astronomen.
    Zehntes Kapitel. – Von den Längen- und den Breitengraden der Breitengürteln.
    Elftes Kapitel. – Von den Gegenden, die vor und hinter den Breitengürteln liegen.
    Zwölftes Kapitel. – Von den unbewohnbaren Gegenden.
    Dreizehntes Kapitel. – Von den Unterschieden, die die bewohnbaren Gegenden kennzeichnen.
    Kurzzeitig befiel ihn wieder das Fieber. «Welches Wissen! Danke, Bartolomeo! Dieses Buch ist unser Leuchtfeuer!…»
    Doch nach einer Stunde, einer einzigen Stunde, ließ er sich fröhlich von seiner Frau und ihrem Sohn unterbrechen, die ihm ein Vogelküken zeigten, das aus dem Nest gefallen war.
     

    Einmal in meinem Leben sollte ich einen Mann und eine Frau in schöner, reicher, zärtlicher Eintracht erleben.
    Und wie sonst nie wieder sollte ich in Porto Santo eifersüchtig sein. Eifersüchtig wie ein eifersüchtiger Bruder, das heißt aus tiefstem Herzen, von dort, wo die bösartigsten Kräfte des Menschen hervorquellen.
    Ich sah meinen Bruder jedes Mal besänftigt, wenn Filipa kam. Ich sah, wie seine Gesichtszüge sich entspannten. Jedes Mal beobachtete ich dieses Wunder: Er verjüngte sich, das Kindliche kehrte zurück, das Vertrauen der Kindheit und ihre Entzückungen.
    Jedes Mal, wenn

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