Crossfire 1: Kontakt
geschafft, alle auszulöschen, und sie
waren auch nicht ausgestorben, sondern sahen sich immer noch im Krieg
mit den Cheyenne.
So viel Krieg. Es gab keine Verbindung mehr zur Erde, und Jake
wusste nicht, ob die angekündigte Forschungsexpedition jemals
Richtung Greentrees aufgebrochen war. Wie auch immer – wenn,
dann würde sie erst in Jahrzehnten eintreffen. Gelegentlich
stellte Jake erstaunt fest, wie wenig er an die Erde dachte. Selbst
die Albträume von Mrs Daltons Bibliothek plagten ihn nicht mehr.
Und doch – die Erde war kein Faktor, den man völlig
außer Acht lassen durfte. Selbst nach einem verheerenden Krieg
oder einem Massensterben konnte den Menschen auf der Heimatwelt ein
ebenso radikaler Neuanfang geglückt sein wie den sehr lebendigen
Cheyenne des toten Larry Smith.
Faisal sagte zu Singender Berg und seiner Gesandtschaft:
»Bitte folgt mir. Wir haben im Park ein Zelt aufgebaut. Dort
gibt es Speisen und Getränken, und dort können wir
reden.«
Das Zelt war Gails Einfall gewesen. Niemand hatte gewusst, was man
von den Cheyenne zu erwarten hatte, trotz des Berichts der Gesandten,
denn sie war nicht lange bei ihnen geblieben. Ein Zelt schien
angebrachter als ein Empfang inmitten der Stadt.
Leise sagte Jake zu Gail: »Ist Nan da?«
»Nein. Sie ist unterwegs und sucht Pelzlinge.«
Jake war erleichtert. Nan war noch immer unberechenbar. Sie
bekleidete in den neuen Streitkräften den Rang eines Leutnants,
war aber abgestellt für »besondere Aufgaben«. Wenn sie
sich in der Stadt aufhielt, wohnte sie bei Gail, die sich anscheinend
mit diesem Arrangement abgefunden hatte. Ihren Vater besuchte Nan
niemals. Das erinnerte Jake an ein Gespräch, das er an diesem
Morgen geführt hatte.
»Gail«, flüsterte er ihr zu, als sie Faisal und den
Abgesandten der Cheyenne durch den Park folgten. »Dr. Shipley
hat mich heute Morgen mit einem offiziellen Antrag
aufgesucht.«
»Wie bitte?« Sie betrachtete fasziniert die Perlen an
einer Cheyenne-Tunika einige Meter vor ihr.
»Er möchte als Missionar zu den ersten
Außerirdischen – ob Ranken oder Pelzlinge –, die als
Nächste nach Greentrees kommen.«
Sie hielt abrupt auf dem blumengesäumten Weg an. »Ranken
oder Pelzlinge?«
»Das hat er gesagt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich wusste immer, dass der
alte Mann verrückt ist.«
Aber Jake war sich da nicht mehr so sicher. Die Cheyenne lebten
mit der Natur, ohne ihre Schönheit zu zerstören oder ihre
Ressourcen zu plündern, die friedlichen Ranken
»träumten in der Sonne«, die Neuen Quäker
schätzten besonders Schlichtheit und Wahrheit und Frieden.
Unterschieden sich diese drei Gruppen wirklich so sehr voneinander?
Und waren sie deshalb schlechter als das, was der
»Fortschritt« aus Mira City – oder aus der Erde –
gemacht hatte?
Jake wusste keine Antwort darauf. Und es war auch nicht wirklich
sein Problem. Sein Problem war es, wie er die Menschen auf Greentrees
am besten am Leben halten konnte. Er hatte jetzt einen neuen Titel.
Vom Anwalt zum Gesetzesbrecher, vom Gesetzesbrecher zum
Weltraumunternehmer, vom Weltraumunternehmer zum
Vorstandsvorsitzenden, vom Vorstandsvorsitzenden zum Oberbefehlshaber
der provisorischen Streitkräfte von Greentrees. Er war so oft
neu erfunden worden wie das Schießpulver.
Und auf lange Sicht gesehen war es vielleicht gerade diese
Anpassungsfähigkeit, die die Menschheit retten konnte. Vor dem,
was auch immer dort draußen auf sie wartete.
»Komm, Jake, wir verlieren den Anschluss«, sagte Gail.
»Ich muss dafür sorgen, dass diese Versammlung mit allem
versorgt wird, was man dort braucht.«
Gail Cutler, Generalquartiermeisterin der provisorischen
Streitkräfte von Greentrees, beschleunigte ihre Schritte. Jake
verharrte noch einen Augenblick. Über den schmalen violetten
Bäumen war der Himmel hell und klar. Keine Wolke war zu sehen,
nicht einmal ein Mond stand am Morgenhimmel. Nichts war dort
auszumachen. Jake blickte trotzdem hinauf, ließ seine Augen
gegen das Licht ankämpfen und fragte sich, was als Nächstes
aus dem dunklen Raum hinter dem friedlichen Himmel herandonnern
mochte.
Si vis pacem, para bellum.
Greentrees würde so gut vorbereitet sein, wie er es zu Wege
bringen konnte.
ENDE
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