Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
1.
Ich hätte mir eigentlich denken können, dass man an so einem Ort keinen Empfang hat. Die Kurznachricht, die ich schnell noch rausschicken will, bleibt im Ausgang stecken, und eine von den drei Yogamuttis an der Tischseite gegenüber sieht mich missbilligend an, obwohl sie gar nicht wissen kann, was ich im Schutze meiner Handtasche treibe. Abgesehen von den drei Damen und zwei mutmaßlichen Waldorflehrern wirken die meisten hier genauso fehl am Platz, wie ich mich fühle: Da ist ein vierschrötiger Riese, der gut hinter eine Fleischertheke passen würde, neben ihm mehrere Anzugträger, ein gebräunter Pensionär, gepiercte Abiturientinnen, ein nicht mehr ganz junger Mann mit Rastalocken und eine Zicke, die ihre Unsicherheit mit Arroganz überspielt. Das bin ich. Wir sitzen im Speisesaal um einen großen Holztisch herum und lauschen den Ausführungen von Rolf, der sich als Chef des Küchenteams vorgestellt hat und uns jetzt zeigt, wo die Liste ausliegt, in die wir unsere Extragetränke und Snacks eintragen können. Ein Witzbold fragt, wo denn das Bier stünde, und erntet ein paar dünne Lacher. Neben mir sitzt eine Frau um die vierzig, vielleicht sogar mein Jahrgang, deren Namen ich sofort wieder vergessen habe, nachdem sie ihn mir genannt hat, und hebt die Hand wie im Unterricht. Wie das denn mit den Küchendiensten sei, will sie wissen.
»Aber das ist doch kein Landschulheim hier«, sage ich zu ihr, aber Rolfs nachsichtiges Lächeln zeigt mir unmissverständlich, dass es doch eins ist.
»Die Mitarbeit im Haus und in der Küche ist Teil eurer Meditation«, sagt Rolf. »Jeden Tag eine Stunde nach dem Mittagessen. An der Küchentür werden Zettel mit euren Namen und den jeweiligen Aufgaben hängen. Und natürlich gilt auch hier das Schweigegebot.«
Ich habe mir fest vorgenommen, mich nicht an Kleinigkeiten wie veganen Mahlzeiten, Gruppenduschen oder Mehrbettzimmern zu stören, also wird mich auch kein Küchendienst aus der Fassung bringen. Ganz verhindern kann ich trotzdem nicht, dass mein Widerstand manchmal schneller ist als mein guter Wille. Ich habe mich informiert, und ich weiß, dass es völlig daneben wäre, in einem buddhistischen Seminarhaus nach einem Steak oder einem Einzelzimmer mit Bad zu verlangen und dann rumzujammern, wenn man keins bekommt. Genauso daneben ist es allerdings, andere Teilnehmer anhand ihres Äußeren in Waldorflehrer und Yogamuttis einzuteilen. Ich bin hier, um etwas zu lernen, das sie »Reines Gewahrsein« nennen, wertfreies Beobachten, das sollte Königsdisziplin werden für eine wie mich. Und wenn ich es richtig verstanden habe, werde ich hier den lieben langen Tag nichts anderes tun, als still zu sein und auf meinen eigenen Atem aufzupassen.
Rolf übergibt das Wort an Gerald, den Seminarleiter, und zu meiner großen Verblüffung ist es der Riese, der jetzt freundlich in die Runde grüßt und uns mit knappen Worten den Ablauf des Wochenendes vorstellt. Zwei Stunden bis zum Abendessen werden wir heute noch sitzen, danach eine weitere Stunde bis einundzwanzig Uhr. Frühmorgens um halb fünf wird ein Gong ertönen, der uns zur Morgenmeditation um fünf einlädt. Frühstück von sieben bis neun, Mittagspause und Putzmeditation von zwölf bis halb drei, Teepause irgendwann, ab da höre ich nicht mehr zu, und das Einzige, was ich am Ende noch mitbekomme, ist, dass wir uns in einer Dreiviertelstunde im Gruppenraum treffen, wo wir nach einer kurzen Einführung mit unserer ersten Meditation beginnen werden. Von da an werden wir bis zur Mittagspause am Sonntag schweigen, und mit Schweigen, sagt Gerald und erhebt die Stimme ein wenig, sei die innere Einkehr gemeint und nicht etwa ein Umschwenken auf Zeichensprache oder das Zustecken kleiner Zettel. Wahrscheinlich sagt er das jedes Mal, und jedes Mal gibt es wieder welche, die dann hö-hö sagen müssen, so wie jetzt auch.
Weil alle anderen aufstehen und ihren Teebecher zur Spüle tragen, tue ich es ihnen nach. Eine resolute ältere Dame mit Hängebäckchen und einem schwungvoll drapierten Wollumhang bietet mir und ein paar Umstehenden an, unseren Abwasch zu übernehmen. Ich taufe sie sofort Miss Marple, überlasse ihr meinen Becher und bedanke mich. Dann bringe ich mein Gepäck in das Zweibettzimmer, das ich mit einer Frau namens Lydia teilen werde. Wie sich herausstellt, ist Lydia die Mutti aus dem Yogatrio, deren Missfallen ich vorhin bei meinem Sendeversuch aus der Handtasche erregt habe. Sie wird etwa Mitte fünfzig sein, ihre
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