Cugel der Schlaue
Verantwortung ab. Er ist der Ansicht, daß Ihr als Karawanenmeister für alle Schäden und Verluste aufkommen müßt!«
Sofort war Varmous, dessen Gedanken längst abgeschweift waren, voll bei der Sache. »Er behauptet, ich müsse Ersatz leisten?«
»Ganz richtig! Und hier ist meine Schadensaufstellung.«
Varmous verschränkte die Arme und wich zurück. »Doktor Lalanke geht von einer falschen Voraussetzung aus!«
Wütend fächelte Cugel die Rechnung vor Varmous' Nase. »Wollt Ihr damit sagen, Ihr weigert Euch, die Rechnung zu begleichen?«
»Ich habe mit dem Ganzen nichts zu tun! Der Vorfall geschah an Bord Eures Schiffes!«
Wieder hielt Cugel Varmous die Rechnung unter die Nase. »Doch Ihr als Karawanenmeister müßt diese Rechnung Doktor Lalanke vorlegen und das Geld kassieren!«
Varmous zupfte am Kinn. »Das ist nicht das richtige Verfahren. Ihr seid Kapitän der Avventura , also müßt Ihr in dieser Eigenschaft an Doktor Lalanke herantreten und die Entschädigung von ihm verlangen!«
Cugel blickte zweifelnd auf Doktor Lalanke, der wieder einmal in ein Gespräch mit Clissum vertieft war. »Ich schlage vor, wir treten gemeinsam an ihn heran, um kraft unser beider Stellung auf Gerechtigkeit zu pochen.«
Varmous wich einen weiteren Schritt zurück. »Laßt mich aus dem Spiel! Ich bin lediglich Varmous, der Karawanenführer, der den Weg bestimmt.«
Cugel redete ihm gut zu, doch Varmous bewies, wie halsstarrig er sein konnte und ließ sich nicht überzeugen. Schließlich setzte Cugel sich verbittert an einen Tisch, trank Wein und starrte finster in das Feuer.
Der Abend zog nur langsam dahin. Eine düstere Stimmung lastete über dem ganzen Lager. Niemand wollte etwas von Oden, Liedern oder Witzen wissen, und die Fahrgäste, die um das Feuer saßen, unterhielten sich leise und bedrückt. Alle beschäftigte die unausgesprochene Frage: Wer wird als nächster verschwinden?
Das Feuer brannte nieder, doch nur zögernd trennte man sich, um schlafen zu gehen, und nicht ohne einen ängstlichen Blick über die Schulter oder eine die innere Unruhe verratende Bemerkung.
Die Nacht verstrich. Der Stern Achernar wanderte von Osten nach Westen. Die Farlocks grunzten und schnüffelten im Schlaf. Weit draußen in der Öde leuchtete ein bläuliches Licht auf, erlosch jedoch schon Sekunden später. Ein Hauch von Purpur schob sich über den östlichen Horizont und wandelte sich zu einem Streifen von Rot dunklen Blutes. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es der Sonne, sich vom Horizont zu lösen und sich darüber zu erheben.
Als das Feuer neu gezündet wurde, erwachte die Karawane zum Leben. Man frühstückte, die Farlocks wurden eingespannt und die Vorbereitungen zum Aufbruch getroffen.
Auch die Vorzugspassagiere an Bord der Avventura kamen aus ihren Kabinen. Jeder blickte forschend von einem zum anderen, als erwarte er, daß wieder einer fehlte. Porraig, der Steward, servierte das Frühstück und trug schließlich ein Tablett zur Achterkajüte. Er klopfte. »Madame Nissifer, Euer Frühstück. Wir machen uns Sorgen um Euer Befinden.«
»Es geht mir gut«, versicherte ihm die rauchige Wisperstimme hinter der Tür. »Ich will nichts. Laßt mich in Ruhe.«
Nach dem Frühstück nahm Cugel Doktor Lalanke zur Seite. »Ich habe mich mit Varmous besprochen«, erklärte er ihm. »Er versicherte mir, daß ich als Kapitän der Avventura Euch wegen unterlassener Aufsicht belangen kann und Ihr für den entstandenen Schaden aufkommen müßt. Hier ist die Rechnung, die Ihr sofort zu begleichen habt!«
Doktor Lalanke warf nur einen flüchtigen Blick auf die Rechnung. Seine schwarzen Brauen hoben sich noch mehr als sonst. »Dieser Posten – nicht zu glauben! ›Ein Tiegelchen Stiefelwichse, Wert eintausend Terces!‹ Das kann doch nicht Euer Ernst sein!«
»O doch! Die Wichse enthielt ein nicht wiederzubeschaffendes Wachs!«
Doktor Lalanke gab ihm die Rechnung zurück. »Ihr müßt sie schon jenen geben, die den Schaden verursachten, nämlich Sush, Skasja und Rlys.«
»Was nutzt mir das?«
Doktor Lalanke zuckte die Schultern. »Ich möchte davon Abstand nehmen, eine Vermutung zu äußern. Jedenfalls habe ich nichts mit der ganzen Sache zu tun.« Er verneigte sich knapp und gesellte sich zu Clissum, in dem er einen Artverwandten gefunden hatte.
Cugel begab sich zum Bug, wo Shilko bereits Wache hielt. Wieder bewies der Mann seine Neigung zur Redseligkeit, während Cugel auch jetzt wortkarg war und nur knapp antwortete, so
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