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Cugel der Schlaue

Cugel der Schlaue

Titel: Cugel der Schlaue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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dichtgedrängten, nicht entzifferbaren Glyphen bedeckt war.
    »Das kann ich nicht lesen«, gestand Herzog Orbal. »Sei so gut, lies du uns die Ode vor.«
    »Dem Verlangen kann nicht stattgegeben werden«, lehnte das Buch ab. »Eine Poesie wie diese ist zu süß für gewöhnliche Ohren.«
    Herzog Orbal warf Xallops einen bösen Blick zu. Hastig befahl der Gruftsucher dem Werk: »Zeige uns Szenen aus der Vergangenheit.«
    »Wie Ihr wollt. Ich werde euch ein Bild aus dem neunzehnten Äon des zweiundfünfzigsten Zyklus offenbaren, nämlich einen Blick über das Linxfadetal auf Kolghuts Turm des Erstarrten Blutes.«
    »Die Einzelheiten sind sowohl erstaunlich wie genau!« bemerkte Herzog Orbal. »Es würde mich interessieren, wie Kolghut aussah.«
    »Nichts ist einfacher. Hier ist die Terrasse des Tempels von Tanutra. Kolghut steht neben dem blühenden Trauerbusch. Im Sessel sitzt Kaiserin Noxon im Alter von hundertvierzig Jahren. Sie hat ihr ganzes Leben keinen Tropfen Wasser zu sich genommen und speiste nur bittere Blüten und hin und wieder ein kleines Stückchen gekochten Aal.«
    »Pah!« brummte Herzog Orbal. »Eine häßliche alte Kreatur! Wer sind diese Herren, die in einer Reihe hinter ihr stehen?«
    »Das ist ihr Gefolge von Liebhabern. Jeden Monat wird einer von ihnen hingerichtet, und ein neuer nimmt seinen Platz ein. Die Männer buhlen nur so um die Zuneigung der Kaiserin.«
    »Pah!« brummte Herzog Orbal erneut. »Zeig uns lieber eine schöne junge Hofdame des Gelben Zeitalters.«
    Das Buch stieß mürrisch ein Wort in einer fremden Sprache hervor und blätterte weiter. Auf der Seite, die es aufschlug, sah man eine Travertinpromenade an einem trägen Fluß.
    »Dieses Bild zeigt euch die beispiellose Baumschnittkunst jener Zeit. Seht – hier und hier!« Mit einem Leuchtpfeil deutete das Buch auf eine Reihe mächtiger Bäume, die kugelförmig geschnitten waren. »Dies sind Irix, deren Saft als sehr wirksames Wurmmittel verwendet wurde. Diese Art gibt es längst nicht mehr. Entlang der Promenade seht ihr eine Vielzahl von Personen. Jene mit schwarzen Strümpfen sind alulianische Sklaven, deren Vorväter von Kanopus auf die Erde kamen. Etwa in der Mitte des Bildes steht eine wunderschöne Frau namens Jiao Jaro. Ein roter Punkt über ihrem Kopf weist auf sie hin. Leider ist ihr Gesicht dem Fluß zugewandt.«
    »Das möchte ich nicht gerade als befriedigend bezeichnen«, sagte Herzog Orbal verärgert. »Xallops, habt Ihr denn keine Kontrolle über die Eigenheiten Eures Ausstellungsstücks?«
    »Bedauerlicherweise nein, Euer Gnaden.«
    Herzog Orbal rümpfte verärgert die Nase. »Eine letzte Frage! Wer unter den Anwesenden und Bürgern meiner Stadt stellt die größte Gefahr für das Wohl meines Reiches dar?«
    »Ich bin ein Nachschlagewerk, kein Orakel«, murrte das Buch. »Ich könnte jedoch bemerken, daß sich unter den Zuschauern ein bestimmter langbeiniger Vagabund mit Fuchsgesicht befindet, dessen Benehmen selbst die Kaiserin Noxon erröten ließe. Er heißt ...«
    Cugel sprang vor und deutete über den Platz. »Der Räuber! Dort ist er! Ruft die Büttel! Schlagt Alarm!«
    Während sich alle umdrehten, um zu schauen, schlug Cugel hastig das Buch zu.
    Mit gerunzelter Stirn drehte Herzog Orbal sich wieder um. »Ich habe keinen Räuber gesehen!«
    »Nun, dann habe ich mich gewiß getäuscht. Aber dort wartet Iolo mit seinem berühmten Beutel voller Träume!«
    Der Herzog setzte sich zu Iolos Pavillon in Bewegung. Die begeisterte Menge folgte ihm. »Traumnehmer Iolo«, rief der Herzog Orbal. »Euer Ruf ist Euch den ganzen Weg von Dai-Passant vorausgeeilt. Ich heiße Euch hiermit willkommen!«
    Mit sorgenvoller Stimme erwiderte Iolo: »Euer Gnaden, ich habe Euch Bedauerliches zu berichten. Ein ganzes Jahr bereitete ich mich auf diesen Tag vor, in der Hoffnung, den Großen Preis zu gewinnen. Mitternachtsstürme, die Empörung der Bürger, die erschreckende Aufmerksamkeit von Gespenstern, Nachtmahren, Schlafwandlern und Dachgeistern machten mir die Arbeit nicht leicht. In den dunkelsten Stunden wanderte ich durch die Nacht in meiner Suche nach Träumen. Ich kauerte mich an Giebelfenster, schlich durch staubige Speicher, beugte mich über Betten. Welche Ängste ich ausstand! Was alles ich erdulden mußte! Aber ich nahm es willig in Kauf, wenn ich nur einen besonders wertvollen Traum einfangen konnte.
    Jeden Traum in meinem Netz überprüfte ich aufs gründlichste. Für jeden, den ich des Erhaltens wert erachtete,

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