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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Rechten nach Halensee hin öffnete, mit dem nächsten Wimpernschlag wieder jener karge Reitweg war, der er einst gewesen.
    Gleichzeitig aber las sie etwas über sich, die Zeile… eines Tages aber kommt Ruth (Jessica Criens) nicht um die Erkenntnis herum, daß sich ihr Mann zu seinem Kollegen Robert viel mehr hingezogen fühlt als zu ihr, sah sie, entdeckte sie ihr eigenes Gesicht, versank darin. Gretchen oder Voodoo-Tänzerin? Intellektuell oder naiv? Kalt berechnend oder ganz gefühlsbetont? Oval, fast kreolischscharf geschnitten, Martinique/Guadeloupe, oder breit und flächig, deutsche Bäuerin?
    Alles in einem. Welch Kapital!
    Ruth Ubbelohde… Jessica Criens
    Ganz oben stand das, und immer wieder hakte sie sich fest daran, saugte es in sich hinein wie Yemayá den süßen Brei aus ihrem Fläschchen.
    «Da sieh mal, Süße, das ist die Mami!» Sie hielt dem Kind ihr Foto hin und war völlig high, als Yemayá daraufhin jauchzte und lachte.
    Freude, schöner Götterfunken… Verweile doch, du bist so schön… Aus den Wolken muß es fallen,/Aus der Götter Schoß, das Glück…
    Sie hatte nun alles, was sie sich je vom Leben erträumt hatte: ihr Baby und den Erfolg.
    Sie hatte vollkommen vergessen, wo sie da saß und sich an sich selbst berauschte, brauchte viele Sekunden, um wieder wach zu werden und zu checken, daß es an der Ecke Tauentzien und Kudamm war, mitten in Berlin. Viel Volk war um sie herum, saß da wie sie oder eilte, wimmelte. Jugendliche, herumlungernd, sicher ohne Arbeit. Rentner, amerikanisch aufgemotzt die westlichen, braun-grau die östlichen, Plaste und Elaste aus Schkopau. Wessies, wieselnd, aufgekratzt, gestern noch in Oberkotzau, heute in der Weltstadt hier, wie vom billigsten Rotwein besoffen. Flanierende Studenten, von ihren friedhofsöden Paukanstalten abgestoßen, heimatlos zwischen coolen CDU-Cäsaren und Kreuzberger Krawallos. Viel frechgestylte Mädchen und Macker, videodoof, selbstbewußt wie Boris und Steffi, auf alle Fälle die Größten. Rechtsanwälte, Apotheker, Architekten, Ärzte, Unternehmer, vom Schicksal auserwählt, sechsstellig zu verdienen. Hausfrauen en masse, hastend auf der Jagd nach Sonderangeboten. Dazu noch Polizisten, Penner, Alkoholiker. Allesamt ihr Publikum. Nächste Woche Mittwoch würden alle vor der Glotze sitzen und von ihr begeistert sein. Standing ovations für Jessica Criens!
    Der Mann dicht neben ihr, von ihr bislang kaum wahrgenommen, stand nun auf und blickte in den Kinderwagen. «Wie süß! Wie heißt die Kleine denn…?»
    «Yemayá…» Wie ein Reflex war diese Antwort gekommen, und Jessica bemerkte erst jetzt, daß der Mann ein echter Widerling war: fett und teigig, aufgedunsen, mit viel zu dicker dunkler Hornbrille und offenbar Perücke, exakt gestutzten Haaren jedenfalls und der Farbe einer abgelegten Nerzstola.
    Sie sprang auf, von ungewissen Alarmsignalen getrieben – Laß dich von keinem ansprechen! Geh mit keinem mit! – und schob den Kinderwagen an der Gedächtniskirche vorbei.
    Los, nach Hause, sonst flippst du völlig aus!
    Ein Uhr auch schon. Yemayá würde bald zu quaken anfangen; frische Windeln waren fällig. Das Mittagessen…! Keine Panik, sie war ja allein, da reichte eine schnell aufgewärmte Leberknödelsuppe mit einer trockenen Stulle dazu. Um 15.30 Uhr der Kinderarzt. Sicher ist sicher. Hatte Yemayá vorhin wirklich ein wenig Blut im Stuhl gehabt – oder hatte sie sich das nur eingebildet? Hysterisch war sie ja. Ins neue Buch hatte sie auch nur morgens im Bett hineingesehen, dabei war in knapp drei Wochen schon der Drehbeginn.
    Also war erhöhtes Tempo angesagt. Sie kam sich, als sie jetzt den Kurfürstendamm hinaufeilte, wie eine Läuferin vor, die beim Marathon den Kinderwagen mitgenommen hatte. Auch eine Rolle, die sie reizen konnte: eine Frau, die so besessen vom Joggen und vom Laufen war, daß sie letztendlich allen und allem davonlaufen konnte: Haushalt, Ehe, Mann und Kindern.
    Sie kam an einem Haufen Kinos vorbei. Gloria, Zoo-Palast und Marmorhaus. Wenn erst die Anzeigen oben an den Fassaden ihren Namen priesen: KINO eins – Jessica Criens in Ein seltener Fall von Witwenverbrennung, KINO zwei – Jessica Criens in Ich lege Rosen auf mein Grab, KINO drei…
    Du bist ja verrückt, äih!
    Ja, und weil ich es bin, wird mein Name eines Tages hier überall in Riesenlettern stehen!
    Sie wohnte hinten am Ludwigkirchplatz und hatte nun, wollte sie vom Kudamm auf dem schnellsten Weg nach Hause, links abzubiegen in die

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