Da muss man durch
keine Ewigkeit, aber inzwischen ist so viel passiert, dass es mir dennoch so vorkommt.
Ellen Preez sieht mich mit traurigen Augen an. «Einen Monat würde ich noch nicht als lange bezeichnen», sagt sie gedehnt.
Ich stutze. «Ich dachte, Sie beide wären länger getrennt.»
Sie schüttelt den Kopf. «Nein. Endgültig vorbei war unsere Affäre erst, als Timothy mit seiner Familie nach London zurückgegangen
ist. Also vor knapp einem Monat.»
Ich schiebe meinen Teller erneut weg. Die Vorstellung, dass Timothy Iris noch über die Geburt des gemeinsamen Kindes hinaus
betrogen hat, ist selbst mir zuwider, obwohl ich mich in Fragen der menschlichen Niedertracht als hartgesotten bezeichnen
würde.
Frau Preez scheint meine Gedanken zu erraten. «Timothy hat auch mich betrogen. Bis zum Schluss hat er so getan, |259| als würde er darüber nachdenken, sich scheiden zu lassen und mit mir ein neues Leben anzufangen. Und dann hat er sich nicht
mal verabschiedet.» Sie kämpft mit den Tränen.
«Das ist alles sehr traurig», sage ich und denke dabei an Iris.
Frau Preez münzt meine Bemerkung auf sich und nickt wehmütig.
Ich sitze ihr gegenüber, und obwohl mich ihr Leiden nicht kaltlässt, finde ich keine tröstenden Worte. Einerseits habe ich
selbst bei dieser Geschichte einen schlimmen Nackenschlag erlitten, andererseits fühle ich mich nicht zuständig. Nebenbei
habe ich gerade selbst Probleme. Also rette ich mich in eine Floskel: «Tut mir sehr leid für Sie, Frau Preez.»
«Ellen», sagt sie mit einem schmalen Lächeln.
Ich halte es nicht für nötig, dass wir uns duzen. «Paul», erwidere ich dennoch fügsam, weil Ellen mir schließlich bei der
Lösung einiger meiner Probleme helfen soll.
Sie lächelt. Dann faltet sie ihre Serviette sorgfältig zusammen, legt sie neben den Teller und sagt: «Gut, Paul. Dann lass
uns mal einen Job für dich finden.»
Zwei Wochen später habe ich zwar noch keinen Job, aber das Amt bewilligt mir finanzielle Unterstützung. Ich kann also meine
Schulden bei Kostas bezahlen, und er hat zudem gute Chancen, dass ich eines Tages eine Zeitung bei ihm kaufe. Das Geld reicht
auch, um meine Dachkammer und die laufenden Kosten zu finanzieren. Selbst Wein und Zigaretten sind drin, aber irgendwie
bin ich trotzdem unzufrieden.
Für Lichtblicke in meinem tristen Leben sorgen Nachrichten aus der Fremde. Günther und Iggy schreiben mir |260| regelmäßig Mails aus Palma, wo er als Programmierer und sie in der Gastronomie arbeitet. Iggy spricht fließend Spanisch,
weil sie als junge Frau ein paar Jahre auf Ibiza gekellnert hat. Das Haus im Grünen ist momentan kein Thema, aber die Familienplanung
der beiden läuft auf Hochtouren.
«Das Klima hier ist so günstig, dass man bis zum Herbst Sex im Freien haben kann», schrieb Günther mir kürzlich.
«So genau wollte ich es gar nicht wissen», schrieb ich zurück.
Bronko hat mir einen langen Brief aus Zürich geschickt. Er hat noch nicht viel gemalt, wird aber andauernd zu irgendwelchen
Partys und Abendessen eingeladen, wo er reiche, gelangweilte Schweizer mit seinen chinesischen und mallorquinischen Abenteuern
unterhält. Bei einer dieser Gelegenheiten ist er in eine Affäre mit der Gattin eines Diplomaten geschlittert und weiß jetzt
nicht, wie er da halbwegs diplomatisch wieder rauskommen soll.
Alle paar Tage telefoniere ich mit Schamski. Er und Melissa sind in London und bemühen sich, die Reste von Melissas Firmenimperium
zusammenzukehren. Viel wird nicht übrig bleiben, das ist abzusehen, aber die beiden müssen auch nicht darben. Schamski hat
Lust, wieder ganz unten anzufangen. Am besten als Verkäufer in einer kleinen Bude, wo er kein Personal führen muss und allein
für sich und seine Umsätze verantwortlich ist. Momentan schwankt er noch, ob er Luxuskarossen in London, Immobilien auf
Mallorca oder Fernsehwerbung in Deutschland verticken möchte.
«Du könntest auch Schwiegermütter nach Übersee verkaufen», witzelte ich.
«Vergiss es. Der Markt ist dicht», gab Schamski zurück.
|261| Sosehr es mich einerseits freut, von Bronko, Günther und Schamski zu hören, so frustrierend ist es andererseits. Während
meine Freunde zielstrebig ihr Leben in die Hand nehmen, dümpelt meines ziellos dahin.
Der Sommer ist durchwachsen. Die wenigen schönen Tage, die er sich abringt, versuche ich zu genießen, indem ich lange Spaziergänge
mit Fred unternehme. Ich möchte allein sein. Bislang habe ich
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