Da muss man durch
rechts und erblicke ein
gemütliches Haus im Herzen von London, in dessen Garten ein glückliches Kind spielt, während Audrey und ich auf der großzügigen
Terrasse ein Tässchen Tee genießen. Ich rolle mich |267| nach links und klopfe an wildfremde Häuser, um ein Stück Brot zu erbetteln, ich rolle mich nach rechts und klatsche Beifall
zum Universitätsabschluss meines Sohnes. Links: Ich werde im Tower in Ketten gelegt, weil ich einen Apfel gestohlen habe.
Rechts: Mein Sohn gewinnt den America’s Cup. So geht das bis zum Morgengrauen.
«In welcher Zeitung werden billige Reisen angeboten?», frage ich.
Kostas hebt den Kopf. «Ich dachte, du wolltest arbeiten. Das klingt aber eher nach Urlaub.»
«Ich muss für ein paar Tage nach London. Könntest du übrigens auf Fred aufpassen?»
«Jaja», knurrt Kostas, kommt um den Tresen herum und greift nach einer Illustrierten. Er blättert darin und findet, was
er sucht. «Hier. Busreisen nach London.»
«Busreisen?», frage ich erstaunt.
«Ist am billigsten. Brauchst du ein Hotel?»
Ich schüttele den Kopf.
Er zeigt auf eine Werbung. «Dann ist das hier das Richtige. Hin- und Rückfahrt für neunundzwanzig Euro.»
«Kannst du mir was pumpen?»
«Ach, Paul!»
«Bitte, Kostas! Es ist wirklich wichtig.»
Er sieht mich an, und mein Gesichtsausdruck scheint ihn davon zu überzeugen, dass ich tatsächlich in Not bin. Kostas schüttelt
bedächtig den Kopf, dann geht er zum Tresen und öffnet die Kasse.
Ein paar Stunden später sitze ich in einem uralten Bus, dessen Fahrgeräusche entfernt an «Let’s spend the night together»
von den Stones erinnern. Passenderweise wird es langsam dunkel. Der Fahrer hat uns eben mit schwerer Zunge |268| eine gute Nacht gewünscht. Auf den durchgesessenen Sitzen kann man mit dem Hintern die Sprungfedern zählen, die Rückenlehnen
lassen sich keinen Millimeter nach hinten stellen. Deshalb denkt auch niemand an Schlaf. Wer das Glück hat, eine funktionierende
Leselampe erwischt zu haben, der hält sich damit wach, die anderen plaudern oder spielen Karten. Wir alle wissen, dass
diese Fahrt nicht ewig dauert, sondern lediglich elendige fünfzehn Stunden.
Ich ziehe mein Handy hervor und wähle Schamskis Nummer.
«Paul! Wie geht’s?»
«Ging schon besser. Ich bin auf dem Weg nach London. Audrey hat mir gestern einen Besuch abgestattet.»
Ein kurzes Schweigen.
«Dann weißt du es also», erwidert Schamski.
Ich stutze. «Du warst im Bilde und hast mir nichts gesagt?»
«Ich weiß es auch erst seit ein paar Tagen. Das wurde alles im engsten Familienkreis verhandelt. Aber lass uns doch gleich
reden. Ich hol dich ab. Sag mir, wann du ankommst.»
«Morgen, am späten Vormittag», erwidere ich.
«Womit bist du unterwegs?», fragt er. «Mit dem Fahrrad?»
«Nein, mit ’nem Bus», sage ich und will nicht weiter drüber reden.
«Okay», sagt Schamski gedehnt.
«Kannst du mir in London einen Job besorgen?», frage ich.
«Du willst wirklich nach London ziehen?»
«Ich weiß noch nicht. Vielleicht erst mal für ’ne Weile.»
Schamski atmet hörbar aus. «Da du ja jetzt zur Familie |269| gehörst, könntest du dich um die Familienangelegenheiten kümmern. Da gibt es genug zu tun.»
«Ja, guter Witz», erwidere ich matt. «Kannst du mir jetzt einen Job besorgen oder nicht?»
«Ich meine es ernst», sagt Schamski. «Im Moment arbeiten alle daran, zu retten, was zu retten ist. Vielleicht reicht es
für einen Neuanfang. Wir könnten deine Hilfe gebrauchen.»
«Elisabeth würde eher ins Armenhaus gehen, als mir einen Job zu geben.»
«Ach was! Großmutter ist Pragmatikerin …»
«Großmutter?», wiederhole ich entrüstet. «Du nennst sie Großmutter?»
«Klar», erwidert Schamski. «Solltest du übrigens auch tun. Sie mag das.»
«Verstehe. Du erwartest, dass ich bei ihr zu Kreuze krieche.»
«Deine Entscheidung», sagt Schamski. «Aber es wäre in jeder Hinsicht besser. Außerdem hast du ja schon einen ziemlich guten
Rückhalt in der Familie. Timothy steht auf deiner Seite, ich sowieso …»
«Moment!», sage ich entschieden. «Ich gehöre überhaupt nicht zu dieser Familie …»
«Tust du doch», geht Schamski dazwischen. «Wenn du deinem Kind helfen willst, dann musst du dich mit der Familie arrangieren.
So einfach ist das.»
Ich schweige abrupt. Er hat, verdammt nochmal, recht.
«Ich kann dir aber gerne einen anderen Job besorgen», fährt Schamski fort. «Sicher nichts Tolles,
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