Da muss man durch
Oder wahnsinnig.»
|264| «Unser Kind?», rekapituliere ich wie jemand, der vom Dach gefallen ist und jetzt überlegen muss, wie er heißt und wo er
wohnt.
«Ja», erwidert sie und blickt auf ihren Bauch. «Unser Sohn. Ein Quickie unter der Dusche hat offenbar gereicht. Soll ja vorkommen.»
«Aha», sage ich erneut und beginne nun langsam, die Dimension dieser Nachricht zu begreifen.
«Ich weiß, was du denkst», sagt sie. «Aber es ist definitiv von dir. Ich rede zwar viel über Sex, das gehört zu meinem
Job. Aber eigentlich führe ich das unspektakuläre Liebesleben eines ganz normalen Singles. Außerdem hatte ich damals eine
Krise mit Shawn. Du bist jedenfalls der Einzige, der als Vater in Frage kommt.»
«Die Frage hab ich mir gar nicht gestellt», bemerke ich.
«Egal», fährt sie fort. «Jedenfalls hatte ich ursprünglich geplant, dass du es nie erfährst. Aber in den letzten Wochen
habe ich meine Meinung geändert.»
Die Gedanken rauschen durch meinen Kopf wie ein reißender Gebirgsfluss. «Ja, das merke ich gerade», erwidere ich hilflos.
Sie sieht mich mit ernster Miene an. «Paul, ich bin nicht hier, weil ich irgendetwas von dir erwarte. Ich kann unser Kind
allein aufziehen. Ich hab mit Lissy gesprochen, und sie wird mich unterstützen.»
«War sie begeistert, dass ich der Vater bin?», werfe ich ein.
«Großmutter sieht die Sache pragmatisch», erwidert Audrey. «Und sie hat mir versichert, dass ich mich auf meine Familie
verlassen kann.»
«Ach? Und auf mich kannst du dich nicht verlassen.»
«So habe ich das nicht gemeint, Paul. Ich möchte dir |265| nur erklären, dass ich keinen Ernährer brauche. Und ich möchte auch nicht, dass du dich nur aus irgendwelchen moralischen
Gründen um deinen Sohn kümmerst. Wenn du ihm ein Vater sein willst, dann solltest du das aus freien Stücken tun.»
Ich überlege kurz, dann nicke ich. «Ja, ich möchte ihm ein Vater sein.»
Es ist keine rationale Entscheidung, sondern ein Gefühl, das leicht und klar durch meinen Gedankenwust hindurchscheint und
merkwürdigerweise keine andere Antwort zulässt.
Audrey zieht die Stirn kraus. «Du musst das nicht sofort entscheiden. Überleg es dir in aller Ruhe.»
«Nein, nicht nötig», erwidere ich. «Ich möchte für ihn da sein.»
«Paul!» Audrey klingt nun leicht verärgert. «Schlaf wenigstens eine Nacht drüber. Es ist eine weitreichende Entscheidung.
Wenn du sie in einer Minute triffst und in der nächsten bereust, dann hat niemand was davon.»
«Aber ich bin mir sicher», insistiere ich. «Ich muss nicht überlegen.»
«Ich hab monatelang überlegen müssen», erwidert sie.
«Aber ich weiß es einfach», versuche ich einen weiteren Anlauf.
Audrey erhebt sich mühsam, sie wirkt verstimmt. «Ich nehme den nächsten Zug zurück nach London. Bis zur Geburt wohne ich
bei Iris und Timothy.» Sie legt einen Zettel auf den Tisch. «Hier ist die Adresse, es ist ein kleines Cottage, etwas außerhalb.
Denk in Ruhe über alles nach. Und wenn du dann immer noch der gleichen Meinung bist, dann komm nach London, und wir besprechen
alles.»
|266| «Bei Iris und Timothy?», frage ich. «Wissen die beiden Bescheid?»
«Klar», erwidert Audrey. «Das Kind wird wahrscheinlich in London aufwachsen. Wie du weißt, wohnen da meine Schwester und
meine Tante. Und vielleicht auch bald meine Großmutter. Außerdem habe ich viele Freunde in London.»
«London, aha. Und ich habe in dieser Frage nichts zu melden?»
Audrey seufzt ungehalten, es ist mehr ein Schnaufen. «Willst du dich hier als alleinerziehender Vater durchschlagen, oder
was?»
«Warum nicht?», erwidere ich trotzig.
Audrey sieht mich an, und in ihrem Gesicht lese ich, dass das Gespräch nun beendet ist. «Bitte. Denk in Ruhe über alles
nach, Paul. Und dann sehen wir weiter. Okay?»
Ich überlege. Sie hat recht. Kann ja durchaus sein, dass ich mich gerade in etwas hineinsteigere, was ich schon morgen völlig
anders sehe.
«Okay», nicke ich.
In der folgenden Nacht finde ich kaum Schlaf. Ich wälze mich im Bett hin und her und stelle irgendwann fest, dass die rechte
Seite für Euphorie und die linke für Depression steht. Das System gefällt mir ganz gut, und so beginne ich, damit zu arbeiten.
Ich rolle mich also nach links und sehe einen abgehalfterten Paul Schuberth, der mit einer Drehorgel durch die Straßen zieht,
während sein schäbig gekleidetes Kind von den Passanten Kleingeld erbittet. Dann rolle ich mich nach
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