Dabei und doch nicht mittendrin
kennzeichneten. Gerade mittels gesteigertem Konsum und demonstrativer Öffentlichkeit beziehungsweise öffentlicher Sichtbarkeit beanspruchen sie, ein Teil des deutschen Sozialgefüges zu sein. Auch der Versuch, sie über den Begriff der »Migrantenkinder« sprachlich zu verorten, wird ihrer Identität und Geschichte kaum gerecht, weil manchmal bereits ihre Eltern nicht migriert, sondern hier geboren sind.
Historisch betrachtet sind Prozesse wie Migration, Zuwanderung und Integration von Menschen, die aus anderen Regionen der Erde nach Deutschland kommen, eigentlich nichts Neues,haben sich aber in den letzten Jahren zu einem wissenschaftlich wie sozialpolitisch äußerst furcht- und fruchtbaren Thema entwickelt: Die Auseinandersetzung reicht von nüchtern-sachlichen Analysen bis zu Skandalisierungen, die den »Untergang des Abendlandes« oder die Selbstelimination des Landes proklamieren, die die Folge der problematischen Zusammensetzung sowie der angeblich ungleichen intellektuellen Potenziale ihrer Bewohner sei.
Mit den Daten des Mikrozensus ab dem Jahr 2005, die erstmals den Migrationshintergrund berücksichtigten, haben die Debatten um Migration und Integration im politischen und pädagogischen Kontext eine besondere Brisanz und Dringlichkeit erreicht. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die Anzahl der Migranten systematisch unterschätzt wurde; die bis dahin dominante juristische Einteilung der Bevölkerung in Deutsche und Nicht-Deutsche erwies sich bei näherer Betrachtung als untauglich: Ging man davon aus, dass die Zahl der Ausländer rund 7 Millionen betrug (und damit 9 Prozent der Bevölkerung, also eine beherrschbare Größe), kamen nun rund weitere 8 Millionen Menschen hinzu, die eine deutsche Staatsbürgerschaft haben (Eingebürgerte, Kinder von Eingebürgerten, die bis zum 23. Lebensjahr
de facto
auch Deutsche sind, Spätaussiedler), sich aber in ihren lebensweltlichen Bezügen dennoch als Fremde fühlen, auch als solche wahrgenommen werden und neben dem deutschen zusätzliche kulturelle Referenzrahmen aufweisen. Nimmt man diese hinzu, so beträgt die Zahl der Personen mit Migrationshintergrund (in Nordrhein-Westfalen spricht man von »Zuwanderungsgeschichte«) etwa 15,3 bis 15,6 Millionen, was etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik entspricht.
Trotz der aufgeregten Debatten um Zuwanderung geht jedoch in der öffentlichen Diskussion unter, dass die Bundesrepublik in den letzten Jahren eher von Abwanderung als von Zuwanderung betroffen ist; denn die Migrationsbilanz weisteinen Negativsaldo auf: So betrug im Jahre 2008 die Zahl der offiziell registrierten Fortzüge 737 889, die Zahl der Zuzüge hingegen 682 146, was eine Abnahme um 55 743 Personen bedeutet. Etwas abgeschwächter war dieser Trend auch für das Jahr 2009 zu beobachten: Die Zahl der Fortzüge umfasste 733 796, die der Zuzüge 721 014; immerhin auch hier ein Negativsaldo von 12 782 Personen – und das in einer Gesellschaft, die ohnehin an fortschreitender Überalterung leidet. Bezogen auf die türkeistämmige Bevölkerung war beispielsweise für 2009 die Zahl der Abwanderungen größer als die der Zuwanderungen (35 410 versus 27 212, also ein Saldo von 8 198). 8
Allein aus dem gesellschaftlichen Eigeninteresse an einer »Bestandssicherung« 9 dürfte daher die Frage nicht lauten,
ob
die Migranten hierher gehören und integriert werden sollten oder nicht, sondern lediglich,
wie
das geschehen könnte, wie der Modus ihrer Teilhabe und Partizipationsmöglichkeiten an den gesellschaftlichen Ressourcen aussehen soll.
Begrifflich sind Migrations-und Mobilitätswege zu differenzieren: »hochmobile« Manager, Wissenschaftler, Geschäftsleute sind keine klassischen Migranten, gleichwohl sie häufig ihren Aufenthaltsort ändern und »stets auf Wanderung« sind.
Von Migranten wird dann gesprochen, wenn es um die Bezeichnung von Individuen oder Gruppen geht, die einen sozialen und geographisch umgrenzten Raum verlassen und weitestgehend freiwillig und im Prinzip auf eine längere Zeit in einen anderen Raum jenseits nationaler Grenzen ziehen, also weder Touristen, Urlauber oder Saisonarbeiter noch
Expatriates
, in international tätigen Unternehmen beschäftigte Manager oder Techniker, sind. Dabei werden auch die Nachkommen der ursprünglichen Einwanderer selbst nach mehreren Generationen als Migranten und Migrantenkinder und in der gegenwärtigen Sprachregelung als »Jugendliche oder Kinder mit Migrationshintergrund«
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