0886 - Todesjagd
Der Hunger schnitt wie ein Messer durch ihren Leib! Sie schrie und winselte, stöhnte und bettelte, trat aus und schlug um sich, doch es half ihr nichts. Ihre Peinigerin war unerbittlich, und das schon seit über drei Stunden.
Schweiß rann in Strömen über ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Es war erschreckend, aber ihre Augzähne wuchsen und verschwanden wieder in rasender Schnelligkeit. Nichts war mehr von ihrer außergewöhnlichen Schönheit zu bemerken, mit der sie einige Männer und auch Frauen fast um den Verstand gebracht hatte. Die langen schwarzen Haare, die ihr bis auf den Rücken reichten, waren schweißgetränkt.
Sie verfluchte die Peinigerin, und im nächsten Augenblick entschuldigte sie sich bei ihr. Die Hände formten sich zu Klauen und hieben nach Silvana, ohne jedoch die Waldhexe zu treffen.
»Warum tust du mir das an?«, schrie sie ihr entgegen. »Was habe ich dir nur getan, dass du mich so strafst? Verflucht sollst du sein, Waldhexe!«
Mit dem erneuten Wachsen der Augzähne trat Schaum vor ihren Mund. Sie spuckte Silvana an, Geifer tropfte an ihrem Kinn herunter.
Und dann, mit einem Mal, fühlte sie sich so kraftlos wie noch nie in ihrem Leben. Mitten im verzweifelten Aufbäumen sackte sie regelrecht in sich zusammen.
Minutenlang blieb sie benommen liegen. Sie bekam nichts von ihrer Umgebung mit, weder von den Geräuschen der Tiere im Dschungel, noch von dem Treiben der Menschen in Silvanas kleinem Camp. Sie bemerkte auch nicht die kleine Feuerstelle in der Mitte des einzigen Raumes, deren kärgliches Licht die Hütte nur sparsam erhellte.
Über dem offenen Feuer hing ein Topf, in dem Kräuter und magische Zutaten kochten. Rauch kräuselte sich und stieg an die Decke, wo er sich sammelte und anschließend langsam durch ein kleines Loch abzog.
Silvana nahm ein Tuch und tauchte es in den neben ihr stehenden Eimer mit kaltem Wasser und einem magischen Zusatz ein. Sie kniete sich, drückte das Tuch leicht aus und legte es auf Angelique Cascals Stirn. Leichtes Stöhnen verriet, dass der Vampirin die Kühle gut tat.
Silvana alias Sarina daSilva, die fast fünfzigjährige ehemalige Parapsychologie-Studentin sowie ehemalige Öko-Kämpferin, blickte Angelique fragend und zweifelnd zugleich an, während sie aufstand.
»Das ist doch sinnlos, Silvana!« Angelique Cascal stöhnte laut auf und wischte sich mit dem Tuch den Schweiß aus dem Nacken. Sie wälzte sich von der dünnen Strohmatte, auf der sie die letzten Stunden gelegen hatte, setzte sich hin und starrte ins Leere. »Du wirst es nie schaffen, mich vom Vampirkeim zu heilen! Seit Stygia damals versuchte mich für ihre Zwecke zu missbrauchen, kann ich nicht mehr gerettet werden.«
Was sie nicht dazu sagte war, dass sie vor Jahren kurz davor standen, die Verwandlung umzukehren. Genau zu dieser Zeit flüchtete Angelique, und Silvana hatte es nach Angeliques Rückkehr nie mehr geschafft, die damalige Grenze zu überschreiten.
Silvana schloss kurz die dunklen, fast schwarzen Augen. Sie strich mit beiden Händen durch die schulterlangen, schwarzen, mit ersten grauen Fäden durchsetzten Haare. Diese Geste machte sie meistens, wenn sie nachdachte. Wie oft schon im Laufe der letzten acht Jahre hatten sie sich über diese Thematik unterhalten. Und wie oft hatte sie schon versucht, Angelique zu heilen.
Vergeblich versucht, ihr zu helfen, fügte sie resignierend in Gedanken hinzu. Doch Tan Moranos Vampirkeim ist stärker als meine Kräfte. Auch sie fühlte sich todmüde, mit jeder Sitzung schien es schwerer zu werden, Angelique zu helfen.
Seit über zwei Jahren war Silvana davon überzeugt, dass sie Angelique mit ihren außergewöhnlichen Heilkräften nicht mehr helfen konnte, aber ihr Stolz ließ es nicht zu, dass sie aufgab.
Sie öffnete die Augen und blickte die Vampirin prüfend an. Wie sehr hatte die sich verändert. Sie war noch immer eine Schönheit mit südamerikanischem Aussehen - so wie auch Silvana doch ihre Ausstrahlung war nicht mehr die einer energiegeladenen jungen Frau, sondern die einer resignierenden Kämpferin, die sich selbst aufgegeben hatte.
Silvana kniff die Augen zusammen, als sie sah, dass Angelique aufstand und dabei immer wieder zusammenzuckte. Sie schien Bilder aus einer vergangenen Zeit vor ihrem inneren Auge zu sehen, denn ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Mit einem Mal wirkte sie wie ein junges Mädchen, das sich über den Besuch eines lieben Bekannten freute.
»Maurice, was tust du hier?«, fragte Angelique
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