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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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sehr sicher umher, als wohlbestallte Staatsdiener. (Er lacht ironisch) Ist es nicht närrisch, kaum bin ich getauft, so werde ich als Jude verschrien. Ich sage Ihnen, nichts als Widerwärtigkeiten seitdem …
    R. S.: Eben, und es hilft einem Juden keine Taufe und einem Südländer kein Haarfärben und kein Eintritt in die Parteien der Mehrheit. Das Stigma trägt der Fremde auf der Stirn.
    H. H.: Unter den getauften Juden sind viele, die aus Feigheit über das Judentum noch ärgere Missreden führen als dessen geborene Feinde. In derselben Weise pflegen gewisse Schriftsteller, um nicht an ihren Ursprung zu erinnern, sich über die Juden sehr schlecht auszusprechen.
    R. S.: Wie Ihr ehemaliger Freund, der Doktor der Revolution, der fast antisemitische Witze über die Juden riss, um seine Distanz klar zu machen?
    H. H. (lacht): Sie meinen Karl Marx, den Enkel des Rabbi Meir Halevi Marx?
    R. S.: Ja, genau den, und in dieser Hinsicht sind viele Fremde ohne es zu wissen Marxisten, weil sie sich selbst erniedrigen, um die Eintrittskarte zu den so genannten Zivilisierten zu erbetteln. Ich glaube, es ist eine besondere Art der Einsamkeit, die den Fremden befällt, die Einsamkeit der Beute in der Fallgrube.
Die Last der Hoffnungslosigkeit wiegt schwer auf der Brustdes Fremden. Sind Ihre Ironie, Ihre Satire, der Schlemihl von Chamisso und meine Neigung zum Lachen ein Erzeugnis der Last, der Angst vor der Mehrheit, vor ihrer Unberechenbarkeit?
    H. H.: Sicher! Und überhaupt, je wichtiger ein Gegenstand ist, desto lustiger muss man ihn behandeln. Die Schriftsteller, die unter Zensur und Geisteszwang aller Art schmachten und doch nimmermehr ihre Herzensmeinung verleugnen können, sind ganz besonders auf die ironische und humoristische Form angewiesen. Es ist der einzige Ausweg, welcher der Ehrlichkeit noch übrig geblieben, und in der humoristisch ironischen Verstellung offenbart sich diese Ehrlichkeit noch am rührendsten.
    R. S.: Aber die Literaturkritiker in Deutschland …
    H. H. (lacht): Kritiker stehen wie Lakaien vor der Saaltüre bei einem Hofball, sie können schlecht gekleidete und unberechtigte Leute abweisen und gute einlassen, aber sie selbst, die Türsteher, dürfen nicht hinein.
    R. S.: Sinnreiches Lachen hat in Deutschland keine Tradition. Das hat nicht nur mit dem Wetter, sondern mit der Staatsform zu tun. Völker, wie die Franzosen und Ägypter, die in ihrer Geschichte lange in einem zentralistischen Staat lebten, neigen eher zur Satire, vor allem gegen den übermächtigen und doch fernen Herrscher. Oder ist es ein Zufall, dass die drei besten deutschen Satiriker elend starben? Sie im Exil, Tucholsky, einer Ihrer Enkel, im schwedischen Exil durch Selbstmord, und Ihr Cousin Oskar Panizza endete in der Irrenanstalt. Ich beobachte seit Jahren, wie die wichtigsten Literaturkritiker im Lande, Herr Gurke, Herr Weiß-Radieschen und Herr Ölig, unbeirrbar die Langeweile züchten, düngen und pflegen. Und mit Gift das Lachunkraut bekämpfen. Sie …
    H. H. (unterbricht): Das sind doch keine Literaturkritiker von Format. Gurke, Radieschen und der ganze Salat sind doch keine Kritiker für große, sondern nur für kleine Schriftsteller – Walfische haben keinen Platz unter ihrer Lupe, wohl aber interessante Flöhe. Doch welcher Ton herrscht in der orientalischen Literatur?
    R. S.: Die Weinerlichkeit. In Deutschland wird die Langeweile, im Orient die Rührung gelobt, und Sie können sich vorstellen, wie perfekt mein Exil ist.
    H. H.: Rührung? Dieses Talent hat auch die kümmerlichste Zwiebel, mit dieser teilt der weinerliche Dichter seinen Ruhm. Für Deutschland würde ich aber unbedingt einen Vorlacher empfehlen. Lachen hat einen epidemischen Charakter, wie das Gähnen, und ich empfehle die Einführung eines Chatouilleurs, eines Vorlachers. Vorgähner besitzen sie dort gewiss genug. (Lacht.)
    R. S.: Meine letzte Frage: Ich fühlte mich noch nie so verbunden mit meiner Familie wie in den Jahren des Exils. Wie ist das eigentlich bei Ihnen? Kehrt man in der Fremde des Exils zu den Ursprüngen zurück? Nicht nur die Kindheitsorte, sondern auch die Zugehörigkeit zu der Familie und manchmal sogar zur Minderheit, der man in den jungen Jahren zu entfliehen suchte, werden wichtig. Oder ist die Rückkehr ein Werk des Alters? Sucht man vielleicht Trost?
    H. H. (protestiert): Ich mache keinen Hehl aus meinem Judentum, zu dem ich nicht zurückgekehrt bin, da ich es niemals verlassen habe. Und trösten kann kein Mensch, sondern nur die

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