Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
es immer in der Geschichte, in guten Zeiten das Beste herauszuholen und in schlechten Zeiten das Schlimmste zu verhüten.
Unter den Omaijaden war Damaskus fast hundert Jahre lang die Hauptstadt eines Weltreiches. Erst das Jahr 750 brachte der Stadt eine verheerende Niederlage. Der Aufstieg der Abbassiden im Irak degradierte Damaskus zu einer Provinzstadt. Hierin liegt auch die Wurzel der bis heute gepflegten Feindseligkeit zwischen Damaskus und Bagdad.
Doch Damaskus überlebte die Abbassiden, die zerstörungswütigen Horden der Mongolen und Tataren und 400 Jahre osmanische Besatzung. Die Stadt verstand sich nicht nur auf die Seidenweberei und die Herstellung des weltberühmten Stahls, sondern und vor allem aufs Überleben aller ihrer Eroberer. Mein Nachbar, der alte Kutscher Salim, sagte mir einst: »Der Damaszener Stahl ist spröde im Vergleich zur Damaszener Zunge.« Doch kehren wir wieder zur Geraden Straße zurück.
Ein paar hundert Meter weiter liegt die Saitungasse. Hier residiert der Patriarch der katholischen Kirche (Melkiten). Hier liegt auch die katholische Schule, die ich zwölf Jahre lang besuchte. Sie war bis zur späteren Verstaatlichung eine der drei Eliteschulen der Christen. Die Söhne der reichen Muslime durften mit uns von einer Auslese der besten Lehrer unterrichtet werden. Viele Namen und Gesichter meiner Mitschüler habe ich vergessen, doch nicht das Bild der zwei Scha’lan-Prinzen, die nach jeden Ferien in einem Cadillac bis zum Schultor gebracht wurden. Der Chauffeur blieb regungslos hinterm Lenkrad sitzen, ein großer schwarzer Sklave in arabischem Gewand entstieg dem Innern des Cadillacs wie in einer Geschichte aus Tausendundeiner Nacht. Er hielt stumm die Tür für die kleinen Herrschaften auf, die für uns nichts anderes als dumme Bengel waren und wegen ihrer Einfältigkeit bis zu den nächsten Ferien ausgelacht und verspottet wurden. Der Großvater dieser zwei Scha’lan-Sprösslinge, Nuri Scha’lan, war bei der Befreiung Damaskus’ von den Osmanen am 3. Oktober 1918 an der Seite König Feisals und eines gewissen Oberst »Lawrence von Arabien« marschiert, aber das ist eine andere Geschichte, und lieber kehren wir zur Geraden Straße zurück.
Parallel zur Saitungasse verläuft die Abbaragasse. Hier lebte ich, bis ich das Land verließ.
Die Häuser sind aus Lehm gebaut. In jedem leben mehrere Familien, und jedes Haus hat einen Innenhof, der allen Nachbarn gehört, sie zusammenbringt und streiten lässt. Das Leben der Erwachsenen findet in den Innenhöfen statt. Die Straße gehört den Kindern, den Bettlern und fliegenden Händlern.
Der Anblick der Häuser von außen täuscht. Hinter manch bescheidener fensterloser Fassade öffnet sich ein Paradies aus Marmor, Licht, Wasser, Rosen und Orangenbäumen.
Am Ende der Gasse, an der Stelle, an der der Apostel Paulus flüchtete, liegt eine kleine Kapelle. Aus schmucklosem Stein äußerst karg gebaut, entspricht sie dem heiligen Paulus am besten, denn der Gründer der Kirche hielt nicht viel von der Schönheit der Form.
In dieser meiner Gasse lebte auch mein Freund Salim, der Kutscher. Er war ein begnadeter Erzähler und Lügner. Nur bei ihm konnte eine Schnittwunde zu einer Erzählung aufblühen.
Nicht nur Orientalisten und arabische Reisende faszinierte die Stadt, kein Geringerer als der Prophet Muhammad soll der Legende nach Damaskus mit dem Paradies verglichen haben. Er erreichte ihre südlichen Vororte und machte kehrt. »Ich will nur einmal ins Paradies«, soll er gesagt haben, und er entschied sich für das Jenseitige.
Das Grab Abels, der von seinem Bruder Kain erschlagen wurde, liegt in der Nähe von Damaskus. Auch Moses, Sainab, die Tochter Alis und Enkelin des Propheten, und Salahaddin (Saladin) liegen in oder in der Nähe der Stadt begraben, doch nichts ist eindrucksvoller als das Grab Johannes des Täufers (Yahya, wie die Muslime ihn nennen). Es liegt in der Omaijadenmoschee. Ein Symbol der Kontinuität der Stadt. Als jüdischer Prophet führte Johannes die Taufe, das erste Sakramentder Christen, ein, und liegt selbst in einer Moschee begraben. Mein muslimischer Freund Nasser log oft, wenn er bei Allah, aber nie, wenn er beim Lokalheiligen Yahya schwor.
All diese Heiligtümer verleihen Damaskus eine sakrale Aura, aber nur in den Augen der Fremden. Die Damaszener leben ganz selbstverständlich mittendrin. Ich schaute als Kind nicht einmal vom Murmelspiel auf, wenn ein Tourist nach der Pauluskapelle fragte. »Geradeaus, dann
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