Damon Knight's Collection 01 (FO 01)
und er versuchte immer noch, sich von seiner tibetanischen Ruhe loszureißen, als er sich dem Befehlshaber vorstellte.
Er entschuldigte sich für die durch die schwierigen Verkehrswege verlorene Zeit und merkte dabei, daß er wie gebannt auf Harms kahlen Schädel starrte.
Eisig versicherte ihm der Oberbefehlshaber, die verlorene Zeit spiele keine Rolle. »Wir sind auch so zurechtgekommen«, sagte er.
Befremdet, aber immer noch freundlich (er fürchtete, sich taktlos benommen zu haben, und vermied es ängstlich, Harms Schädel anzusehen), erklärte Godwin, daß er nicht mehr auf dem laufenden sei.
»Ich werde mir die Akten meines Vorgängers und ein paar FAX-Kopien kommen lassen, um mich über den Stand der Dinge zu informieren«, sagte er und erwartete eine sofortige Besprechung.
»Tun Sie das«, schnauzte der Kommandeur, wandte sich ab und konzentrierte sich auf ein Aktenbündel auf seinem Schreibtisch.
Erstaunt darüber, so schroff abgefertigt worden zu sein, aber nicht im geringsten ahnend, daß Harms die Absicht hatte, ihm alle dienstlichen Informationen vorzuenthalten, schlenderte Godwin davon. Mit dem starken Verdacht, daß dieser Kommandeur es lieber gesehen hätte, wenn er in Tibet geblieben wäre – in diesem Fall deckten sich ihre Wünsche –, betrat er seine Arbeitszelle nebenan.
Er verbrachte einen unergiebigen Morgen damit, den Staub von seinem Schreibtisch zu wedeln. Eine Zeitlang sann er darüber nach, wie die Welt ihr Tempo anscheinend auf das des Lamaklosters zurückgeschraubt hatte. So gesehen, paßte es ins Bild, daß Mädchen in dem Komplex eine Seltenheit waren. Eine davon, eine madonnengesichtige Technikerin, kam ihm nahe genug, daß er die möglichen Konsequenzen eines Lächelns in Betracht zog. Sie warf ihm einen Blick zu, wobei sie die Augen mit kühler Geringschätzung auf seine Stirn heftete, und wandte das Gesicht ab. Er spürte, wie sein Lächeln zu einer gequälten Grimasse wurde.
Als er nach Lhasa heruntergekommen war, hatte er sich noch nicht wieder auf Menschen eingestellt, aber als er dann auf dem Weg zum Flugplatz war, hatte er intuitiv erfaßt, daß die Welt ihr Gesicht verändert hatte, wenn er auch noch nicht sagen konnte, was es war. Die Kleidung war es nicht, obwohl die Frauenmäntel wieder lang waren, aber diesmal hoben und senkten sie sich wie Pumpenschwengel. Seine eigene Kleidung konnte nicht unmodern sein: Die Liaisonmontur änderte sich nie … Alle Männer bekamen Glatzen, das war es!
Über Paris kam er zu dem Schluß, daß ihm diese Mode nicht gefiel. Die Männer im Flugzeug sahen komisch aus. Er haßte die Art, wie jedermann ihm ständig unverhohlene Seitenblicke zuwarf. Vielleicht würde er als Leithammel fungieren und seine Mitpassagiere zur Einsicht und zu einem natürlicheren Haaransatz zurückführen. Als sie London überflogen, geriet er etwas ins Schwanken; ein oder zwei wohlgeformte Schädel fielen ihm auf.
Und jetzt, nach einem langen, unendlich langsam vergangenen Vormittag, begann er in der Haarfülle auf seiner Stirn eine Ähnlichkeit mit den Yaks, die er hinter sich gelassen hatte, zu entdecken. Harms gänzlich kahler Schädel war wohl eher eine Laune der Natur als eine modische Übertreibung; etwas derartig Häßliches konnte einfach nicht beabsichtigt sein. Aber die Mode hatte sich während seiner Abwesenheit geändert, und jetzt, da er sich daran gewöhnte, konnte er sich genauso gut anpassen.
Er beschloß, das Mittagessen auszulassen, im Einkaufszentrum ein Enthaarungsmittel zu besorgen und sich in seine Unterkunft zurückzuziehen. Allein mit sich selbst, würde er gewiß einen Kompromiß mit der Mode finden.
Vielleicht bloß ein bißchen von den Schläfen weg und eine radikale Abänderung des spitz zulaufenden Haaransatzes in der Mitte der Stirn? Er summte leise vor sich hin, während er das Ergebnis im Spiegel prüfte. Er nahm noch ein bißchen mehr weg und noch ein bißchen.
Dann zog er von einem Ohrläppchen zum anderen einen Strich quer über den Schädel und trug eine dicke Cremeschicht auf die abgeteilte Partie auf. Während er darauf wartete, daß das Enthaarungsmittel in die Haarwurzeln eindrang, sah er geistesabwesend zum Fenster hinaus, als ein Geräusch ertönte, das sein Gesumm plötzlich abbrechen ließ.
Es wurde jäh höher, bis es für das menschliche Ohr nicht mehr vernehmbar war. Aber er konnte es immer noch fühlen und schrak unwillkürlich zusammen. Alle seine Sinne signalisierten ihm, daß etwas Riesiges durch
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