Damon Knight's Collection 10 (FO 19)
klappte.
Er überprüfte verschiedene Artikel, die im Laufe der letzten Stunden hereingekommen waren, und legte drei davon zur näheren Betrachtung beiseite. Einer handelte vom Wiederaufflammen der Grippe-Epidemie, die England zu Anfang des Jahres heimgesucht hatte. Es gab neue Reisebeschränkungen.
Julia: „Mir egal, was sie sagen, ich glaube es nicht. Wer hätte je von einer Quarantäne mitten im Sommer gehört? Ich weiß nicht, weshalb es auf der ganzen Welt Reisebeschränkungen gibt, aber ich glaube nicht, daß es an der Grippe liegt.“ Anklagend: „Du hast doch sämtliche Informationen in Reichweite. Warum gehst du ihnen nicht nach? Frankreichs Grenzen wurden dicht gemacht, bevor die Epidemie wütete.“
Martie rieb sich die Stirn, suchte in seinem Schreibtisch nach einem Aspirin, fand keines. Langsam griff er nach dem Telefon und rief Sandy an, seine Informationsquelle. „Sehen Sie nach, was wir über wetterabhängige Krankheiten da haben, Mädchen! Sie wissen schon, Grippe, Erkältungen, Lungenentzündungen, all das Zeug. Krankenhausstatistiken, Aufnahmen, Todesfälle. Firmen, die schließen mußten, Schulen. Was immer Sie finden können. Okay?“ Er wandte sich an das Bild auf seinem Schreibtisch. „Zufrieden?“
Julia sah sich Hilary Boyle um halb sieben an und stärkte sich anschließend mit Rührei und einem Glas Milch. Der für zehn Uhr angekündigte Wetter-Sonderbericht erklärte Marties Verspätung, aber auch so hätte er es kaum geschafft, denn der Verkehr war zum Erliegen gekommen. Nun, auch das wußte sie bereits. Sie hatte letzten Endes doch Marties Nummer gewählt und die Tonband-Antwort erhalten: Leider ist es uns im Augenblick unmöglich, die Verbindung herzustellen. Soviel dazu. Das Baby weinte und weinte.
Sie versuchte eine Stunde oder noch länger zu lesen und hatte keine Ahnung, was sie gelesen hatte, als sie das Buch schließlich weglegte, um nach dem Feuer zu sehen. Sie warf ein neues Holzscheit in die Glut und schürte sie, bis die Flammen mit grünen und blauen Funken hochzüngelten und scharf knisterten. Sobald sie ihren Verstand nicht mehr gewaltsam abschaltete, strömten die Gedanken auf sie ein.
War es verrückt von ihr zu glauben, daß sie ihre beiden Babies umgebracht hatten? Weshalb sollten sie? Wer waren sie? Führte man bei Neugeborenen keine Autopsien durch? Konnte man Ärzte und Schwestern des Mordes anklagen wie gewöhnliche Menschen? Das waren die praktischen Aspekte, fand sie. Es gab noch andere. Die Furcht, daß etwas durchsickern könnte. Zu viele Leute wären darin verwickelt. Zu gefährlich, außer man setzte voraus, daß jeder im Kreißsaal, auf der Wöchnerinnenstation, an einer gigantischen Verschwörung beteiligt war. Wenn sie sich nur genauer erinnern könnte, was sich ereignet hatte!
Bis zum Zeitpunkt der Geburt war alles normal gewesen. Dr. Wymann hatte sich von Anfang zufrieden über ihren Gesundheitszustand geäußert. Absolut nichts Außergewöhnliches war geschehen. Nichts. Aber als sie aufwachte, hatte Martie an ihrem Bett gesessen, sehr blaß, mit geröteten Augen. Das Baby ist tot, hatte er gesagt. Und: Schatz, ich liebe dich so sehr. Es tut mir unendlich leid. Sie konnten einfach nichts tun. Und so fort. Sie hatten beide geweint. Jemand war mit einem Tablett hereingekommen, auf dem eine Nadel lag. Schlaf.
Das falsche Ende. Sie mußte an einer anderen Stelle beginnen. Die Ankunft im Krankenhaus, Wehen im Abstand von vier Minuten. Aufgeregt, aber nicht nervös. Nichts, auf das sie nicht vorbereitet gewesen wäre. Dr. Wymann hatte ihr erklärt, wie alles vor sich gehen würde. Nichts Außergewöhnliches. Blutgruppentest. Urin. Gewicht. Blutdruck. Allergietest. Dr. Wymann: Jetzt dauert es nicht mehr lange, Julia. Sie machen Ihre Sache gut. Schlaf. Beim Erwachen Martie am Bett. Blaß und mit geröteten Augen.
Dr. Wymann? Er hätte es gemerkt. Er hätte nicht zugelassen, daß sie ihrem Baby etwas antaten!
Am Fuß der Treppe horchte sie auf das Wimmern des Babys. Bitte nicht, flehte sie es in Gedanken an. Bitte nicht weinen. Bitte!
Das war die erste Schwangerschaft, vor vier Jahren. Dann, letztes Jahr, eine Wiederholungsvorstellung, auf allgemeinen Wunsch. Sie preßte die Hände an die Ohren und rannte zurück zum Kamin. Sie dachte, an das andere Mädchen in dem Zweibettzimmer, ein junges Ding, höchstens achtzehn. Auch ihr Baby war an dem plötzlich auftretenden Kindbettfieber gestorben. Schlafen, dann ein Hochschrecken, ohne Grund, kein Laut
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