Damon Knights Collection 6
hatte, nahm er die mittlere – er folgte der Radiallinie direkt ins Zentrum der Festung, zum Gewölbe der Kronkammer. In einigen der äußeren Passagen herrschte fast Gedränge. Bürokraten trafen letzte Vorbereitungen für die abendlichen Ereignisse. Svir hielt sich abseits von diesen Gruppen und hoffte, daß niemand Bemerkungen austauschte, für wen genau man ihn hielte. Als er sich jedoch dem Zentrum näherte, wurden die Leute immer weniger. Außer den Wachen traf er nur gelegentlich Bürokraten von sehr hohem Rang.
Hier wurde die Identifikationsprozedur verwickel ter. Die Wände waren einheitlich verkleidet und auf den Böden lagen schwere Teppiche. Svir wunderte sich über den seltsamen Luxus in den geheimsten Teilen der Festung. Außer den üblichen Gemälden und der sonstigen Pracht waren da kleine Glasfenster in regelmäßigen Abständen. Jenseits des Glases konnte Svir nur Dunkelheit sehen. Vermutlich war jemand dahinter postiert und beobachtete, was vorging – bewachte die Wachen. Svir war mit einem Male sehr froh, daß Tatja Ancho das Täuschen von verborgenen Beobachtern hatte üben lassen. Jetzt erkannte er den Grund für die luxuriöse Ausstattung. Außer den dahinter verborge nen Beobachtern waren dort vermutlich auch eine Reihe von Waffen und Fallgruben versteckt.
Schließlich erreichte er den letzten Kontrollpunkt – den Eingang zum Kronraum selbst. Aus verständlichen Gründen hatten zu dieser Zeit nur der Generalinspek teur und Tar Benesh selbst Befugnis, diesen Raum zu betre ten, in dem der Nation größte Schätze und ge heimste Dokumente lagerten. Hier war die Abfertigung besonders schwierig. Einige unbehagliche Augenblicke lang dachte Svir, daß sie jetzt gleich darangehen würden, seine Fingerabdrücke zu nehmen, um sie auf der Stelle zu vergleichen. Würde die Illusion sich auf die Fingerabdrücke erstrecken? Aber offensichtlich wurde diese Prozedur nur in besonderen Fällen angewandt, Svir wurde ihr jedenfalls nicht unterzogen.
Als man die äußere Tür zum Gewölbe öffnete, wandte sich Hedrigs beiläufig an die wacheführende Beamtin. »Captein, ich habe Anweisung, einige der Opfergüter jetzt direkt zur Opferinsel transportieren zu lassen. Ich hätte gern eine Abteilung bereit, wenn ich die allgemeine Inventur abgeschlossen habe.«
»Sehr wohl«, antwortete sie. »Wir haben ungefähr zwanzig Leute mit der notwendigen Sondererlaubnis für genau diese Arbeit. Ich kann sie in fünfzehn Minuten hier haben.« Sie gab Svir eine Algenlampe. »Vergessen Sie das nicht.«
»Ach, danke.« Hedrigs nahm unsicher die Lampe. »Wenn alles in Ordnung ist, wird die Inventur ungefähr vierzig Minuten in Anspruch nehmen – wenn nicht, kann es länger dauern.« Viel länger, dachte Svir für sich selbst.
Hedrigs wandte sich um und ging schnell in den Schleusenraum zwischen den beiden Türen. Die äuße re Tür glitt zu, die innere Tür hob sich nach oben, und er schritt in den Kronraum.
Das Gewölbe war eine Enttäuschung. Der Raum war groß und ohne Verzierung. Svirs Lampe war die einzige Lichtquelle. Über allem hing ein Geruch nach Staub, den die winzigen Lüftungsschächte nicht zerstreuen konnten. Die Schätze waren nicht zu einem spektakulären Haufen getürmt, sondern wurden fein säuberlich katalogisiert auf Gestellen aufbewahrt, die den Raum fast ganz ausfüllten. Jedes Objekt hatte ein eigenes Schild zu seiner Klassifizierung. Eine Reihe von Schränken entlang einer Wand beherbergte die persönlichen Aufzeichnungen der königlichen Familie. Svir ging zwischen den Gestellen entlang. (Die Kronjuwelen und den neunhundertdreißigkarätigen Diamanten Shamerest nahm er fast gar nicht wahr. In dem trüben Licht wirkte das alles glanzlos.) Schließlich erreichte er die rotbeschilderte Abteilung – die wichtigsten Opfer für das Fest.
Und da war sie – die Fantasy-Sammlung. Rein äußerlich war sie von eindrucksvollem Umfang. Die zehntausend Bände waren auf sieben voll ausgenutzten Ständern aufgestapelt. Die ganze Masse lagerte auf einem fahrbaren Gestell, um den Transport zu erleichtern. Offensichtlich betrachtete Benesh Fantasy mehr als einen Artikel beweglichen Reichtums denn als eine Quelle philosophischer und romantischer Erquickung. Aber – wie Tatja so zynisch betont hatte – diese mas sive Sammlung war auch das Vehikel von Cors Rettung. Sogar in diesem trüben Licht konnte er einige der Titel auf den Rücken lesen. Da war doch das letzte Obra von Ti Lisos Zeitreisen-Serie! Während
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