Daniel und Ismael
Katja hatte mich mit dem Mädchen verkuppelt, sie war dreizehn und trug eine Zahnspange. Ich fand sie süß, ich wünschte mir, über alles mit ihr reden zu können. Doch ich fühlte mich immer unsicher in ihrer Nähe und gab ihr flapsige Antworten, so dass sie bald genug von mir hatte.
“Und was war das damals mit uns?”
“Da waren wir Kinder, Katja.” Ich weiß sofort, was sie meint. Dass sie sich auch noch daran erinnert, wundert mich.
Als Kinder erkundeten wir die Umgebung mit unseren Rädern, bauten Buden, tobten über die Wiesen. Die anderen Jungs hänselten mich deswegen – Weichei, Memme, mit ‘nem Mädchen spielen. Es war mir egal, Katja und ich waren die dicksten Freunde. Unser Lieblingsplatz damals war der Teich. Wir versuchten Frösche zu fangen, Heuschrecken und Libellen. Sie brachte mir das Schwimmen bei in diesem Sommer, elf oder zwölf müssen wir gewesen sein.
Eines Tages lagen wir nebeneinander im Schilf, noch nass vom Baden, angenehm müde. Ihr nackter Rücken glänzte, wir trugen beide nur eine Badehose, ihre Brust war noch genauso flach wie meine. Plötzlich fiel mir eine Filmszene ein, die ich einmal gesehen hatte. Irgendwie, ich weiß nicht mehr, was ich mir dabei dachte, nahm ich einen langen Grashalm in die Hand. Langsam strich ich ihr damit über den Rücken. Sie kicherte, flüsterte, dass es kitzelt, blieb aber ruhig liegen.
“Darauf bist du aber nicht selbst gekommen.”
“Nein, das habe ich in einem Film gesehen.”
“Und hast du noch mehr in dem Film gesehen?”
“Ja.” Ich küsste ihren Rücken, von oben nach unten. Sie kicherte wieder. Ich wusste, dass das, was wir taten, nicht ganz richtig war, nicht in unsere Welt gehörte, aber reizvoll, ein eigenartiger Kitzel.
Katja reißt mich aus meinen Gedanken. “Ich muss jetzt gehen Daniel, man sieht sich.”
Enttäuscht und wütend bleibe ich zurück. Als sie sich vor über einem Jahr in Gunnar verliebt hatte, durfte ich mir ihr Gesäusel stundenlang anhören. Jedes Detail ihrer ersten Begegnung konnte ich bald auswendig, so oft hatte ich es gehört. ‘Und wie süß er ist, und sein Lächeln, und wie toll wir getanzt haben, man kann solchen Spaß haben mit ihm, und wie wir uns verstanden haben, als würden wir uns schon ewig kennen. Ob er wohl anruft, ob er wohl vorbeikommt.’ Stundenlang.
Und als er dann vorbeikam, immer öfter vorbeikam, hatte sie immer seltener Zeit für mich. Nur morgens im Schulbus erzählte sie mir jedes Detail ihrer Beziehung. Die erste Verabredung, der erste Kuss, der Sex, der erst nicht klappte und dann so toll war, so phantastisch, dass kannst du dir nicht vorstellen. Und ich saß da, wusste nichts dazu zu sagen, sie erwartete auch nicht, dass ich etwas sagte, und ich verging fast vor Neid und Sehnsucht.
Und ich erzählte ihr nie, dass ich die ganze Zeit, während sie redete, nur zu dem Jungen mit dem langen braunen Haar schaute, der im Bus immer stehen blieb und den ich ein ganzes Jahr lang anhimmelte, wegen seiner langen Haare und seiner Unnahbarkeit. Und ich stellte mir vor, wie ich all die Dinge, von denen sie erzählte, mit ihm tue, aber ich wagte nie, ihn anzusprechen.
Und jetzt, wo ich wirklich mal etwas zu erzählen habe, es gern erzählen möchte, am liebsten jedes kleine Detail, da geht sie einfach, hört mir nicht zu. Sie hat mich nicht einmal gefragt, wo ich ihn getroffen habe, oder wie er heißt. Ismael, Ismael.
5
Er ist wirklich gekommen! Mittwoch und Donnerstag habe ich gebangt, nun steht er schüchtern vor der Tür. Er trägt wieder ein weißes Hemd, diesmal so ein Weites, das wie dem Mittelalter entsprungen aussieht. Ich schleuse ihn durch den Flur und die Treppe hoch in mein Zimmer. Dann stürze ich die Treppe noch einmal runter, um etwas zu trinken zu holen. Als ich wiederkomme, steht Ismael vor meinem Lieblingsfenster und schaut hinaus. Ich trete neben ihn.
“Du hast es gut, du hast einen schönen Ausblick aus deinem Fenster.” Man kann von dem Fenster aus über Wiesen blicken, in der Ferne sieht man Baumgruppen, der Horizont ist weit.
“Ja, das ist mein Lieblingsplatz.” Ich öffne die beiden Flügel und setze mich auf die Fensterbank, die Beine nach draußen. Unter dem Fenster ist ein Vordach, auf das man die Füße stellen kann.
“Fall nicht raus.”
“Ach Quatsch, komm, setz dich neben mich.” Zögernd setzt er sich hin, bleibt aber mit den Füßen im Zimmer. “Zeigst du mir jetzt das Foto von mir?”
Ich hole ein Foto, das ich von ihm
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