Daniel und Ismael
ich jede Vorsicht.
“Sehr witzig. Nein im Ernst, sie sehen es nicht gern, wenn ich Freunde von außerhalb habe.”
“Von außerhalb, weil ich aus einem anderen Dorf bin?”
“Quatsch, von außerhalb unserer Glaubensgemeinschaft.”
“Was, es ist verboten, dass ihr Freunde außerhalb der Sekte habt?”, ungläubig gucke ich ihn an.
“Es ist nicht direkt verboten, es wird uns nur davon abgeraten, wegen dem schlechten Einfluss, den sie haben”, versucht Ismael zu erklären.
“Und, willst du dich meinem schlechten Einfluss weiterhin aussetzen?”, bitte, bitte, bitte.
“Na klar, ich komm mal vorbei und du spielst mir diese Musik vor.” Er flüstert fast.
7
Als ich heimkomme, sitzt meine Mutter im Wohnzimmer auf der Couch. Auf dem Tisch vor ihr stapeln sich die Kataloge: Versandhäuser, Schmuck, Haushaltswunder, Gartenbedarf. Seit ihre letzte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ausgelaufen ist, hat sie wieder viel Zeit, darin zu blättern. Vati ist die ganze Woche über auf Montage im Westen. Sie liest gerade in einer der besonders dicken Konsumbibeln. Meine Mutter würde nie einen Roman in die Hand nehmen, der auch nur halb so dick ist. Genau genommen habe ich sie noch nie einen Roman lesen sehen.
“Hallo Daniel, komm doch mal her, schau mal, ich habe etwas Schönes für dich gefunden. Für die Hochzeit von deiner Cousine brauchst du doch noch einen Anzug.” Familienfeiern und Kataloge sind die größten Freuden meiner Mutter, besonders glücklich ist sie, wenn sie beides kombinieren kann. Wie ein Lamm zu Schlachtbank gehe ich zu ihr.
“Ich habe doch den Anzug, den ich zur Jugendweihe getragen habe”, murmele ich unwillig.
“Aber den kannst du doch nicht mehr anziehen!”
Ich werfe einen Blick in den Katalog, einen schlichten schwarzen Anzug hat sie ausgesucht, der blonde Typ sieht umwerfend gut darin aus, an mir wird er aussehen wie ein Kartoffelsack.
“Soll mir recht sein.” Ich stehe auf und will gehen, um weiteren Einkleidungsversuchen zu entkommen, doch nicht schnell genug.
“Warte doch mal, du brauchst doch noch ein Hemd.”
“Mutti, wenn ich alles so hätte wie Hemden!” Bei jeder zweiten Katalogbestellung meiner Mutter fällt ein Hemd für mich ab. Ich entkomme schnell durch die Tür.
8
Am Freitag steht Ismael endlich in der Tür. Er sieht bedrückt aus und lächelt mich schüchtern an. Genug um mein Gehirn für eine Minute außer Gefecht zu setzen.
“Was guckst du so? Ich sollte doch vorbeikommen. Musik hören, erinnerst du dich?”
“Klar.” Mein Gehirn muss immer noch ohne Versorgung sein, denn ich umarme ihn kurz. Aber wenigstens registriere ich, dass er nicht zurückzuckt. Wir gehen in mein Zimmer, ich mache meinen PC an und spiele eine Auswahl meiner Lieblingsmusik ab. Ismael wirft sich aufs Bett und starrt aus dem Fenster. Ungestört studiere ich seine Gesichtszüge, deren Ausdruck zwischen nachdenklich und niedergeschlagen wechselt. Schließlich rücke ich mit meinem Stuhl näher zu ihm. “Was ist denn los? Warum ziehst du so ein Gesicht?”
“Ach, ich soll wieder ins Sommerlager der Bekenner an die Ostsee fahren.”
“Na, Ostsee klingt doch gar nicht so schlecht, und Sommercamp geht auch, wenn da ein paar nette Jugendliche sind, vielleicht auch mal welche in deinem Alter.”
Ismael richtet sich auf. “Weißt du was Gebetskreis bedeutet? Mit gesenktem Kopf zwei Stunden am Strand sitzen und darauf warten, dass jemand ein Gebet sagt. Und ich habe die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen, weil mir gerade kein Gebet einfällt. Außerdem ist beten für mich was ganz Persönliches.”
“Okay, ein Minuspunkt, aber zwei Stunden gehen auch mal rum. Und dann könnt ihr doch bestimmt schwimmen gehen.”
“Ja klar, eine Stunde, bis der Arbeitskreis ‘Jugend und Glauben’ losgeht. Und abends am Lagerfeuer bleibt immer ein Erwachsener dabei.”
“Damit ihr nicht mit den Mädchen rumknutscht?”
Ismael schaut mich an, als würde ich gar nichts kapieren. “Quatsch, das käme ja doch raus. Nein, damit der Junge an der Klampfe nicht auf die Idee kommt, was von den Beatles zu spielen. Dabei finde ich wirklich nicht, dass die verwerfliche Texte haben.”
Ich kenne nur wenige Texte von den Beatles, allerdings ist mir auch nicht bekannt, dass sie als eine besonders anrüchige und moralisch gefährdende Band in die Geschichte eingegangen wären. Ich muss schmunzeln. “Langsam verstehe ich, warum das nicht gerade ein Traumurlaub ist. Sag deinen Eltern doch, dass du da
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