Darkover 08 - Die Erben von Hammerfell
Rascard, dem unbehaglicher zumute war, als er in Gegenwart dieses weitläufigen, fein gekleideten Städters zugeben mochte, empfing ihn in seiner Großen Halle und rief nach Wein und Erfrischungen.
»Ich bitte, die Mängel dieses Empfangs zu entschuldigen«, sagte er und führte den Gast zu einem Sessel in der Nähe des geschnitzten Kamins, der das Wappen von Hammerfell trug. »Aber bis gestern war dies ein Haus der Trauer, und wir sind noch nicht wieder zum normalen Zustand zurückgekehrt.«
»Ich bin nicht des Kuchens und des Weins wegen gekommen, Verwandter«, antwortete Renato Leynier, ein Tiefland-Vetter aus dem Hastur-Land im Süden. »Eure Trauer ist die Trauer unserer ganzen Familie; Alaric war auch mein Verwandter. Aber unser Besuch dient einem bestimmten Zweck. Ich bin gekommen, um die Tochter meines Verwandten, die leronis Erminie, abzuholen.«
Renato musterte den Herzog. Wenn er erwartet hatte, einem alten, durch den Tod seines Sohnes gebrochenen Mann zu begegnen, der bereit war, Hammerfell in die Hände von Fremden fallen zu lassen, sah er sich getäuscht. Im Gegenteil, dieser Mann wirkte, als sei er durch seinen Zorn und seinen Stolz stärker geworden. Er war ein vitaler Mann, und das Reich von Hammerfell, durch das Renato viele Tage lang gereist war, hatte er immer noch fest im Griff. Kraft sprach aus jeder Geste und jedem Wort des Herzogs. Rascard von Hammerfell war zwar nicht mehr jung, aber weit davon entfernt, ein gebrochener Mann zu sein.
»Warum wollt Ihr Erminie ausgerechnet jetzt abholen?« fragte Rascard, und es durchfuhr ihn wie ein Stich. »Sie fühlt sich wohl in meinem Haus. Dies ist ihr Heim. Sie stellt die letzte lebende Verbindung mit meinem Sohn dar. Ich würde es vorziehen, sie als Tochter in meiner Familie zu behalten.«
»Das ist nicht möglich«, entgegnete Renato. »Sie ist kein Kind mehr, sondern eine heiratsfähige Frau, und so alt seid Ihr nun auch noch nicht.« Bis zu diesem Augenblick hatte er Rascard von Hammerfell in der Tat für so alt gehalten, daß eine junge Frau in seiner Gegenwart keine Anstandsdame brauchte. »Es wäre ein Skandal, wolltet ihr beide allein zusammenleben.«
»Es gibt gewiß nichts Schmutzigeres als die Gedanken eines tugendhaften Mannes, höchstens noch die Gedanken einer tugendhaften Frau!« entrüstete sich Rascard, und sein Gesicht wurde rot vor Zorn. In Wahrheit war ihm diese Auslegung nie in den Sinn gekommen. »Fast von ihrer Säuglingszeit an ist sie die Spielgefährtin meines Sohnes gewesen, und in all den Jahren, in denen sie hier lebte, hat es keinen Mangel an Anstandsdamen und Duenas, Gesellschafterinnen und Gouvernanten gegeben. Sie werden Euch berichten, daß wir während der ganzen Zeit nicht zweimal auch nur in einem Raum allein gewesen sind, außer als sie mir die Nachricht vom tragischen Tod meines Sohnes übermittelte, und da, glaubt mir, hatten wir anderes im Kopf.«
»Das bezweifle ich nicht«, erwiderte Renato verbindlich, »aber auch so ist Erminie in dem Alter, daß sie verheiratet werden sollte. Und wenn sie unter Eurem Dach lebt, kann sie nicht, wie es sich schicken würde, mit einem Mann ihres Standes in die Ehe treten. Oder habt Ihr vor, sie zu degradieren, indem Ihr sie irgendeinem niedriggeborenen Friedensmann oder Diener gebt?«
»Natürlich nicht!« verwahrte sich der alte Herzog dagegen. »Ich hatte die Absicht, sie mit meinem eigenen Sohn zu vermählen, wäre er nur lange genug am Leben geblieben.«
Darauf folgte ein peinliches und für Rascard trauriges Schweigen. Doch so schnell gab Renato nicht auf.
»Wäre es doch so gekommen! Aber bei aller Achtung für Euren Sohn, einen Toten kann sie nicht heiraten, so traurig die Sache auch ist«, sagte Renato. »Und so muß sie zu ihrer eigenen Familie zurückkehren.«
Rascard traten die Tränen in die Augen, die zu vergießen er bisher zu stolz gewesen war. Er blickte zu dem dunklen Wappen über dem Kamin hoch und konnte sein bitteres Leid nicht länger verbergen. »Jetzt bin ich wirklich allem, denn andere Blutsverwandte habe ich nicht. Die Leute von Storn können triumphieren: Außer mir lebt kein Mann und keine Frau mehr vom Geschlecht der Hammerfells in den Hundert Königreichen.«
»Ihr seid noch kein alter Mann.« Die schreckliche Einsamkeit, die aus Rascards Stimme klang, bewegte Renato. »Ihr könntet wieder heiraten und ein Dutzend Erben großziehen.«
Rascard erkannte, daß Renato die Wahrheit sprach, und doch war er trostlos. Sollte er eine Fremde in sein
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