Darkover 18 - Hasturs Erbe
Nein, es war richtig, daß jemand um ihn weinen sollte, und ich war schon jenseits aller Tränen.
Noch ein Tod auf meinem Gewissen…
Schließlich, als die Sonne schon fast die fernen Bergspitzen rötlich überhauchte, schlief auch ich ein. Es war wie ein letztes Geschenk einer unbekannten Göttin, daß ich keine bösen Träume hatte, keine Visionen von Feuer, nur gnädige Dunkelheit, der dunkle Mantel von Avarra, der unseren Schlaf bedeckte.
Ich erwachte und hielt Marjorie immer noch in den Armen. Der Raum war von Sonnenlicht erfüllt. Ihre goldenen Augen waren weit aufgerissen und starrten mich angstvoll an.
»Bald werden sie kommen«, sagte sie.
Ich küßte sie langsam und zärtlich, bevor ich aufstand. »Um so weniger lange werden wir warten müssen«, sagte ich und schob den Riegel zurück. Ich zog meine besten Kleider an, suchte verbissen mein feinstes Seidenhemd und dazu eine Jacke und Hosen aus goldfarbenem, gefärbtem Leder aus dem Bündel. Ein Erbe der Comyn ging nicht wie ein gewöhnlicher Krimineller in den Tod. Ein ähnliches Gefühl mußte Marjorie gestern überkommen haben, denn sie trug offensichtlich ihr schönstes Kleid, hellblau, aus spinnenzarter Seide und mit tiefem Halsausschnitt. Anstatt wie sonst ihr Haar zu flechten, hatte sie es mit einem Band auf dem Kopf zusammengebunden. Sie sah würdig und wunderschön aus. Bewahrerin. Comynara .
Diener brachten uns das Frühstück. Ich war dankbar, daß Marjorie stolz lächeln und ihnen in ihrer normalen, anmutigen Weise danken konnte. Ihr Gesicht trug keine Spur der Tränen und des Entsetzens von gestern. Wir hielten die Köpfe hoch erhoben und lächelten uns an. Keiner wagte ein Wort zu sagen.
Wie ich vorausgesehen hatte, erschien Kadarin, als wir still die letzten Früchte von dem Tablett verzehrten. Ich hatte nicht gewußt, welchen Haß er in mir auslöste. Der Gedanke, ihn zu töten, das Verlangen, meine Finger in seiner Kehle zu vergraben, war so stark, daß mir davon übel wurde.
Und dennoch - wie soll ich es ausdrücken - gab es eigentlich nichts mehr, was zu hassen war. Ich blickte nur kurz auf und wandte schnell den Blick wieder ab. Er war nicht einmal mehr ein Mensch, sondern etwas anderes. Ein Dämon? Sharra in Gestalt eines Menschen? Der richtige Kadarin existierte nicht mehr. Wenn man ihn tötete, würde man das Ding, das ihn besaß, nicht vernichten.
Noch ein Punkt für Sharra. Dieser Mann war mein Freund gewesen. Die Zerstörung von Sharra würde ihn nicht nur töten, sondern auch rächen.
»Hast du es geschafft, ihn zur Vernunft zu bringen, Marjorie?« sagte er. »Oder muß ich ihn wieder unter Drogen setzen?«
Ihre Fingerspitzen berührten meine Hand, aber so, daß er es nicht sehen konnte. Ich wußte, er sah es nicht, wenn er es auch früher jederzeit bemerkt hätte. Ich sagte: »Ich werde tun, was du von mir verlangst.« Ich konnte es nicht über mich bringen, ihn Bob oder auch nur Kadarin zu nennen. Er war von dem Mann, den ich gekannt hatte, meilenweit entfernt.
Als wir durch die Flure gingen, blickte ich Marjorie von der Seite an. Sie war sehr bleich. Ich spürte, wie sich das Leben in ihr zusammenkrampfte. Sharra hatte sie ausgesaugt, ihre Lebenskräfte fast bis zur Neige getrunken. Noch ein Grund mehr, nicht mehr weiterzuleben. Sonderbar, ich dachte so, als hätte ich noch eine Wahl.
Wir traten auf einen hochgelegenen Balkon über Caer Donn und dem Flughafen. Unten sah ich sie alle versammelt, die Gesichter, die ich in meinem… was war es? Ein Traum? Ein Drogentrip? Oder war dieser Teil Wirklichkeit gewesen? Mir schienen die Gesichter bekannt. Einige waren verhärmt, andere in prächtigen Kleidern, einige wissend und klug, andere dumpf und unwissend, einige nicht einmal menschenähnlich. Doch bei allen leuchteten die Augen mit der gleichen, glasigen Intensität.
Sharra! Ihr Eifer brannte sich in mich hinein, riß an mir, tobte.
Ich blickte hinab auf Caer Donn. Der Atem blieb mir in der Kehle stecken. Marjorie hatte es mir erzählt, doch keine Worte hätten mich auf diese Zerstörung, die Ruinen, die Ödnis vorbereiten können.
Nur nach einem großen Waldbrand, der die Hügel in der Nähe von Armida heimgesucht hatte, hatte ich etwas Ähnliches gesehen. Die Stadt war rauchgeschwärzt. In weiten Teilen war nicht ein Stein auf dem anderen geblieben. Die alte Stadt war völlig zerstört und verwüstet. Die Schäden zogen sich bis in die terranische Zone
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