Darkover 24 - Die Schattenmatrix
sich die Dorfbewohner weigerten, in Haus Halyn zu arbeiten, war Mikhail froh um ihre Anwesenheit, so wenig hilfreich sie auch waren.
Sie behaupteten, bereits die Kindermädchen von Alanna Elhalyn gewesen zu sein, die seit über einem halben Jahrhundert tot war. Mikhail schätzte sie auf annähernd achtzig, obwohl keine der beiden das zugeben wollte. Auch besaßen sie all die ärgerlichen Eigenarten von alten Faktoten - sie behandelten alle Leute, als wären sie kleine Kinder und ein bisschen schwer von Begriff, wussten hartnäckig alles besser und weigerten sich, ihre eingefleischten Gewohnheiten zu ändern.
Die Bewunderung für seine Mutter war immer größer geworden, während er sich bemühte, mit diesem unmöglichen Kinderhaufen zurechtzukommen. Er hatte ihr in einer freien Minute einen liebevollen Brief geschrieben und einen Boten damit losgeschickt, jedoch nie eine Antwort erhalten. Entweder saß sie noch schmollend in Armida und fühlte sich sowohl von ihrem Bruder Regis als auch von Mikhail verraten, oder sie war bereits in Thendara, um neue Intrigen zu spinnen. Mikhail schob seine Überlegungen unnachgiebig beiseite und folgte dem Heulen, das er inzwischen nur zu gut erkannte.
Emun saß mitten auf seinem Bett, hatte die Fäuste in die Decken gekrallt und den Kopf nach hinten geworfen, und ein dünnes, schreckliches Geräusch drang aus seinem schlanken Hals. Er war sehr dürr, nur Haut und Knochen, und die Augen wirkten viel zu groß für das schmale Gesicht. Das helle rötliche Haar war völlig zerzaust und verfilzt, weil er sich im Bett herumgeworfen hatte, außerdem hatte er sich die Unterlippe blutig gebissen. Unter den blauen Augen schimmerten dunkle Ringe, und Mikhail wusste, dass er sich die Handflächen mit seinen kurzen Fingernägeln aufgerissen hatte.
Emun zeigte erste Anzeichen der Schwellenkrankheit, aber noch war die Krankheit nicht richtig ausgebrochen. Diese Tatsache beunruhigte Mikhail sehr. Das erste Auftreten von Laran wurde normalerweise von dieser Krankheit begleitet, manchmal ziemlich heftig, dann wieder weniger schlimm. Bei
Mikhail war es ein relativ harmloses Ereignis gewesen, aber er wusste noch genau, wie krank Marguerida im Sommer auf Burg Ardais gewesen war. Trotz seiner Ausbildung in Arilinn zweifelte er an seiner Fähigkeit, mit der Krankheit fertig zu werden.
Heute Nacht, da sein Verstand ausnahmsweise fast klar war, wunderte er sich, warum die Schwellenkrankheit bei Emun nicht mit voller Stärke ausbrach. Aus eigener Erfahrung und entsprechenden Unterweisungen in Arilinn wusste Mikhail, dass alles auf einmal kam, wenn es soweit war. Emuns ganz offensichtliche Fehlstarts waren rätselhaft, und während Mikhail einerseits dankbar war, dass es noch nicht zum Schlimmsten gekommen war, machte er sich andererseits Sorgen, er könnte ihm nicht gewachsen sein, wenn es wirklich soweit war.
Es war, als würde irgendetwas Emun daran hindern, das Laran zu erreichen, das er als Erwachsener einmal besitzen würde, falls ihn diese Albträume nicht vorher umbrachten. Das war natürlich unmöglich, es sei denn, Priscilla oder Emelda machten sich irgendwie an den Kanälen des Jungen zu schaffen. Mikhail hielt das eigentlich für undenkbar, aber er wusste, dass Ashara Alton in den Jahrhunderten seit ihrem Tod nicht nur Marguerida, sondern noch zahlreiche andere Frauen überschattet hatte. Auch wenn ihm diese Vorstellung ein Gräuel war, so gab es offenbar Menschen, die nicht von denselben moralischen Prinzipien geleitet wurden wie er. Liriel wüsste bestimmt die Antwort auf seine Fragen. Liriel! An sie hatte er sich zu erinnern versucht, als er ins Bett ging! Sie war eine hervorragende Matrixtechnikerin, wenngleich ihre angeborene Bescheidenheit verhinderte, dass sie ihr Potenzial vollends ausschöpfte. Und sie könnte auch die Mädchen prüfen, was für ihn äußerst unschicklich wäre. Sie könnten seine Töchter sein, und damit waren sie für ihn tabu.
Wenn er doch nur einen Gedanken richtig zu Ende denken könnte! Kaum hatte Mikhail diese Überlegung angestellt, fühlte er wieder die vertraute geistige Erschöpfung, die Teilnahmslosigkeit und die Verzweiflung. Er kämpfte gegen dieses Gefühl des Verlorenseins, der Nutzlosigkeit und der Angst an, das jede wache Stunde an ihm nagte. Er hatte ja keine Zeit für seine eigenen Sorgen.
Mikhail setzte sich auf den Rand von Emuns Bett und ergriff die kleine, zitternde Hand. Die anderen Jungen schliefen in dem großen Bett oder taten zumindest so.
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