0883 - Mörderisch
»Natürlich! Dann ergibt sich Satan. Sagen Sie, wie heißt der nun wirklich?«
»Hat man Ihnen seinen Namen nicht mitgeteilt?«
»Sonst hätte ich nicht gefragt.«
Dr. Fercy verzog seinen dünnen Mund. »Stimmt auch wieder. Da haben Sie recht. Er heißt Slim Guthry.«
Ich hob die Schultern. »Der Name sagt mir nichts. Auch in meiner langen Berufspraxis bin ich noch nicht über ihn gestolpert. Jedenfalls habe ich die Aufgabe bekommen, ihn zu holen.«
Erleichterung breitete sich auf dem Gesicht des Gefängnisdirektors aus. »Darüber bin ich froh, das können Sie mir glauben. Ich reibe mir die Hände, wenn ich ihn los bin. Die hundert Meilen bis London schaffen Sie. Außerdem habe ich Ihnen in Sam Wilde einen meiner besten Männer zugeteilt. Er kennt sich aus, er ist die Strecke schon öfter gefahren. Wir bringen mehrmals im Jahr Gefangene in die Klinik. Keiner jedoch ist so schlimm wie Guthry oder Natas. Sie müssen eben mit allem rechnen. Mr. Sinclair.«
»Er wird es wohl kaum schaffen, aus dem Wagen auszubrechen.«
»Im Normalfall nicht. Der Wagen ist auch sicher. Aber Natas traue ich alles zu. Er hat nicht umsonst in seiner Zelle die finsteren Mächte beschworen. Immer wieder sprach er mit irgendwelchen Dämonen. Er war der Meinung, daß sie ihn beschützen, daß ihm nichts passieren konnte. Wenn man lange genug zuhörte, dann konnte man den Eindruck gewinnen, daß dies auch stimmte. Er hat ein wahnsinniges Vertrauen in die Mächte der Finsternis gesetzt. Selbst Sam Wilde wurde nachdenklich, aber das werden Sie noch hören.«
»Können Sie das genauer erklären?«
»Gern. Ich glaube nämlich nicht, daß er auf der Reise Ruhe geben wird. Natas wird immer wieder anfangen zu reden. Er wird schreien, er wird sich drehen und wenden. Er wird den Kontakt mit dem Teufel suchen und ihn bitten, ihn zu befreien. Bisher ist es seinem großen Freund nicht gelungen, aber Guthry ist in unserer Anstalt auf seine Art und Weise ein verdammter Störenfried.«
»Das verstehe ich.«
»Gut, Mr. Sinclair.« Es sah aus, als wollte sich der Mann hinter seinem schlichten Schreibtisch erheben. Er überlegte es sich anders und ließ sich noch einmal gegen die Rückenlehne sinken. »Wissen Sie eigentlich, was er getan hat?«
»Er mordete.«
»Genau. Über zehn Menschen starben durch seine Hand im Laufe der Zeit. Wir wissen nicht, ob es noch mehr gewesen sind. Das kam in der Verhandlung nicht ans Tageslicht. Er hat seine Opfer nicht nur erschossen oder erstochen, er hat sie noch gequält, bevor er sie dem Satan opferte, und das auf grausame Art und Weise. Wissen Sie, wie…«
Ich hob die rechte Hand und stoppte seinen Redefluß. »Ja, Sir, ich weiß, was er mit seinen Opfern getan hat, denn ich kenne die Akten. Sie brauchen es nicht zu wiederholen.«
»Nerven, Sinclair?«
»Das auch«, erwiderte ich und blickte dabei in sein Gesicht mit dem lauernden Grinsen. »Gewisse Dinge gibt es eben, und man braucht sie nicht zu wiederholen, denke ich.«
»Wie Sie meinen, Mr. Sinclair, es ist Ihr Job.« Dr. Fercy schaute auf seine Uhr. »Wir werden ihn gleich abholen. Möchten Sie dabeisein, wenn wir in seine Zelle gehen?«
»Ich denke schon.«
»Mutig.«
»Warum?«
Dr. Fercy stand auf. »Nun ja, ich könnte mir vorstellen, daß Natas durchdreht, wenn er sie sieht.«
»Das ist sein Problem.«
Der Direktor lachte. »Gut gesagt, wirklich gut gesagt.« Dann erhob er sich.
Ich mochte den Mann nicht. Fercy war ein aalglatter Typ. Ziemlich klein, mit einem Kugelbauch, einem kugeligen Kopf und einem kugeligen Gesicht. Jemand, der im normalen Leben sicherlich keine großen Chancen aufgrund seines Aussehens hatte und nun in einer derartigen Position, wie er sie seit einigen Jahren bekleidete, endlich seinen Frust ablassen konnte. Das mußte nicht so sein, aber ich konnte es mir durchaus vorstellen: Wenn die Gefangenen vor ihm standen, während er saß, dann konnte er ihnen seine Macht beweisen. Dann mußten sie nach seiner Pfeife tanzen.
»Gehen wir?«
»Gern.«
Hintereinander verließen wir das Büro mit der schlichten Einrichtung, in dem nur die Telefonanlage modern war. Wir durchquerten ein Vorzimmer, wo ein müde aussehender Mann dabei war, die Blumen auf der Fensterbank zu gießen, dann dauerte es nicht lange, bis wir direkt in den Teil der Anstalt gerieten, wo die Gefangenen untergebracht waren.
Ich hatte erfahren, daß dieser Knast überfüllt war. Es kam immer wieder zu Tätlichkeiten unter den Gefangenen, und in der Außenwelt
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